Die Päpstin
Jahre alt, war Gerolds jüngste Tochter bereits gut entwickelt. Die Ähnlichkeit
mit ihrer Schwester Gisla war nicht zu übersehen. Dhuoda begrüßte Johanna aufgeregt. »Ich hab’s vorhin erst gehört! Morgen
ist dein Hochzeitstag!«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, erwiderte Johanna geradeheraus.
Dhuoda mußte staunen. Gisla hatte gar nicht schnell genug heiraten können! »Ist der Mann denn so alt?« Ihr Gesicht verzog
sich in kindlichem Entsetzen. »Hat er keine Zähne mehr? Oder hat er die Krätze?«
|201| »Nichts von alledem.« Johanna mußte lächeln. »Wie mir gesagt wurde, ist er jung und stattlich.«
»Aber warum sagst du dann …«
»Ich habe jetzt keine Zeit, es dir zu erklären, Dhuoda«, unterbrach Johanna sie drängend. »Ich bin gekommen, dich um einen
Gefallen zu bitten. Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?«
»Oh, ja!« Neugierig beugte Dhuoda sich vor.
Johanna zog ein zusammengerolltes Stück Pergament aus ihrem Ranzen. »Dieser Brief ist für meinen Bruder. Bringe ihn zu Johannes
an die Domschule. Ich würde ja selbst gehen, aber ich werde in den Frauengemächern erwartet. Ich soll dort eine neue Tunika
für die Hochzeit anprobieren. – Tust du mir den Gefallen?«
Dhuoda starrte die Pergamentrolle an. Wie ihre Mutter und ihre Schwester konnte auch sie nicht lesen und schreiben.
»Was steht denn drin?«
»Das kann ich dir nicht sagen, Dhuoda. Aber es ist wichtig. Sehr wichtig.«
»Eine Geheimbotschaft!« Ihr Gesicht glühte vor Aufregung.
»Es sind fünf Kilometer bis zur Domschule. Wenn du dich beeilst, kannst du zu Mittag, in zwei Stunden, wieder hier sein.«
Dhuoda schnappte sich die Pergamentrolle. »Ich schaffe es noch schneller!«
Das Mädchen eilte über den Haupthof der Burganlage, stets darauf bedacht, den Dienern und Handwerkern aus dem Weg zu gehen,
die wie immer um diese Tageszeit den Hof mit Leben und Lärm erfüllten. Dhuoda war aufgeregt. Eine geheime Botschaft zu überbringen
– was für ein Abenteuer! Sie spürte das glatte, kühle Pergament in den Händen und wünschte sich, sie könnte lesen, was darauf
geschrieben stand. Daß Johanna lesen und schreiben konnte, erfüllte Dhuoda mit Respekt.
Der geheimnisvolle Botengang war für das Mädchen eine willkommene Abwechslung im langweiligen Alltagseinerlei auf Villaris.
Außerdem freute sie sich, Johanna helfen zu können. Johanna war immer nett zu ihr gewesen; stets nahm sie sich die Zeit, Dhuoda
alle möglichen interessanten Dinge zu erklären. Sie war ganz anders als Mama, die häufig übellaunig und kurz angebunden war.
|202| Das Mädchen hatte beinahe die Palisade erreicht, als es einen Ruf hörte.
»Dhuoda!«
Mamas Stimme. Dhuoda lief weiter, als hätte sie die Mutter nicht gehört, doch als sie durch das Tor in der Umzäunung wollte,
packte der Wachtposten das Mädchen und hielt es fest.
Dhuoda drehte sich zu ihrer Mutter um, die näher kam.
»Dhuoda! Wo willst du hin?«
»Nirgends.« Hastig versuchte das Mädchen, die Pergamentrolle hinter dem Rücken zu verstecken. Richild fiel die plötzliche
Bewegung auf, und ihr Mund verzerrte sich, als ein Verdacht in ihr aufkeimte.
»Was ist das?«
»N-nichts«, stammelte Dhuoda.
»Gib es mir.« Herrisch streckte Richild die Hand aus.
Dhuoda zögerte. Wenn sie der Mutter das Pergament gab, würde sie das Geheimnis verraten, das Johanna ihr anvertraut hatte.
Doch falls sie es der Mutter nicht gab …
Richild starrte ihre Tochter finster an. In ihren dunklen Augen war zu erkennen, wie sich in ihrem Innern heißer Zorn aufstaute.
Als Dhuoda in diese Augen blickte, erkannte sie, daß sie keine Wahl hatte.
In der letzten Nacht vor ihrer Hochzeit sollte Johanna auf Richilds Geheiß in dem kleinen Aufwärmzimmer schlafen, das an ihre
eigene Schlafkammer angrenzte – ein Privileg, das für gewöhnlich nur kranken Kindern oder bevorzugten Bediensteten zuteil
wurde. Es sei eine Geste der besonderen Ehrerbietung gegenüber der angehenden Ehefrau, wie Richild sich ausdrückte, doch Johanna
war sicher, daß Richild sie auf diese Weise lediglich unter genauer Beobachtung halten wollte. Egal. Sobald Richild schlief,
konnte Johanna genauso schnell aus diesem Zimmer schlüpfen wie aus dem Schlafraum.
Ermentrude, eine der Dienerinnen, kam mit einem Holzbecher mit warmem, gewürztem Rotwein in das kleine Zimmer. »Von Gräfin
Richild«, sagte sie schlicht. »Euch zu Ehren an diesem besonderen Abend.«
»Ich
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