Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
dann nach rechts. Wald. Nichts als Bäume und Nebel. Wald im Winter halt.
Zwei Arme umfassten mich und pressten mich an eine starke Brust.
»
Beruhige dich, Fay. Hör bitte auf zu schreien
.«
»Ich soll nicht schreien? Das ist zum Fürchten!«
»Das stimmt. Trotzdem hilft schreien nicht.« Lee war so schrecklich rational.
»Aber es beruhigt!«,
schrie ich und drehte mich zu ihm um. Meine Wangen waren noch feucht und die Kälte stach entlang meinen Tränenbächen viel intensiver.
Lee war noch immer erschrocken, trotzdem tätschelte er mir beruhigend den Rücken. Plötzlich hielt er inne. Die Hand, mit der er meinen rechten Oberarm umfasst hielt, drückte schmerzhaft zu. Seine rechten Finger lagen noch immer auf meiner Wange.
»Sie kommen.«
Blitzschnell − ich hatte es noch nicht recht begriffen − hatte er mich wie einen Sack über seine Schulter geworfen und rannte los.
Entsetzt sah ich um mich herum alles verschwimmen. Rannte er oder flog er? Ich konnte keinen einzigen Baum ausmachen. Alles war ein Gewisch aus braunen, schwarzen, weißen Farben, die ineinander übergingen. Ähnlich einem modernen Gemälde, in dem die Farben ineinanderlaufen. Mein Kopf schleuderte gegen seinen Rücken, ich krallte mich an seiner Taille fest, damit mein Oberkörper nicht ständig hin- und herpendelte. Mir wurde übel. Nicht nur von der Geschwindigkeit, sondern auch vom Druck, den Lees Schulter auf meinen Bauch ausübte. Ich schloss die Augen. Ansonsten hätte ich nicht dafür garantieren können, mich während der »Fahrt« nicht zu übergeben.
Und plötzlich war alles vorbei. Abrupt blieb er stehen und setzte mich langsam wieder ab.
»Alles in Ordnung?«, fragte er ein wenig atemlos. Er atmete schneller, aber er schwitzte nicht.
Ich nickte, doch dann schüttelte ich den Kopf. Jetzt war es an mir, ihn fassungslos anzusehen.
»Wir müssen da hoch. Dann können wir reden.«
Ich folgte seinem Blick. Wir standen vor einer Felswand. Wahrscheinlich das Wochenendziel für Freeclimber, aber garantiert nicht für mich, die ich nicht schwindelfrei war und selbst auf einer Stufenleiter Probleme hatte.
»Ich helfe dir, Fay.«
»Ganz hoch? Können wir nicht außen herumgehen?« Nur hundert Meter weiter befand sich ein steiler Waldweg nach oben, ganz ohne Fels. Diese Felswand ragte aus dem Boden heraus, wie eine riesige Sprungschanze.
»Dort, in ungefähr acht Metern Höhe, befindet sich eine Höhle. Darin können wir uns verstecken.«
Ich hob meinen Kopf. »Ich sehe keine Höhle.«
»Der Eingang ist recht klein und deswegen perfekt getarnt. Na, komm schon.« Ohne weiter zu fragen, drehte er mir den Rücken zu und ging ein wenig in die Hocke.
Ich zögerte. »Kannst du so klettern? Wäre es nicht …« In diesem Moment hörte ich etwas. Ein seltsames Heulen drang aus dem Nebel hinter uns. Es war hoch und lang und furchtbar angsteinflößend. Ich kletterte auf seinen Rücken und umfasste seine Brust.
Lee begann die Wand hinauf zu krabbeln wie eine Spinne. Innerhalb von ein paar Sekunden hatten wir die acht Meter Höhe erreicht. Nein, ich war Lee definitiv nicht zu schwer. Nicht einmal hinderlich. Vor uns lag eine kleine Öffnung, nur ungefähr einen Meter groß und in einer Mulde in der Felswand verborgen. Man hatte die Höhle von unten gar nicht erkennen können. Woher wusste er dann davon? Im Moment eigentlich die unwichtigste Frage. Mir kamen sofort ein paar andere Fragen in den Kopf, die wesentlich dringender waren. Lee zog sich auf den kleinen Vorsprung und half mir zuerst in die Höhle hinein. Er blieb direkt hinter mir.
Es war pechschwarz. Wir waren nur einen Meter weit drin und schon konnte ich kaum noch meine Hand vor Augen sehen, geschweige denn den Rest des Raumes. Gab es hier Fledermäuse? Oder noch schlimmer: Bären, die Winterschlaf hielten?
»Keine Angst. Wir sind hier sicher.« Wie ein Magier, zauberte er eine Taschenlampe aus seiner Hosentasche.
Keine Bären. Zum Glück. Außerdem war der Raum wesentlich größer, als ich vermutet hatte. Die Taschenlampe reichte nur ganz schwach bis in die hinterste Ecke. Da war eine Lagerstelle.
»Hier wohnt jemand«, platzte es aus mir heraus.
Lee ging weiter. Sobald man den winzigen Eingang hinter sich gelassen hatte, konnte man aufrecht stehen. Sogar, wenn man über ein Meter neunzig groß war. »Komm mit, Fay. Hier wohnt niemand mehr.« Er nahm meine Hand und führte mich zu der Lagerstelle.
Ich starrte auf die Überreste. Von dem eingefassten Feuerring abgesehen,
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