Die Pan-Trilogie, Band 1: Das geheime Vermächtnis des Pan (German Edition)
an.
»Felicity, wir haben Heiligabend«, sagte Mum flehend. »Da sollte doch die Familie zusammensein.«
»Ich glaube, ich habe es alleine besinnlicher«, antwortete ich und öffnete die Tür.
»Ja, dann geh doch!«, schrie meine Schwester. »Geh, aber glaub nicht, dass du noch einmal Weihnachten hierher zu kommen brauchst. Erst lässt du meinen Schinken verbrennen und dann ruinierst du alles mit deiner Zickerei. Dein Geschenk behalte ich als Ausgleich für den Braten.«
Die letzten Worte hörte ich nur noch gedämpft, denn ich hatte die Tür schon hinter mir zugeschlagen. Mit wütenden Schritten ließ ich die Jahrmarktsbeleuchtung hinter mir und eilte in Richtung Bushaltestelle. Der nächste Bus würde wahrscheinlich erst Stunden später fahren, aber das war mir egal.
Ich überlegte, wie wohl der Heiligabend mit Lee verlaufen wäre. Mit Sicherheit hätte er sich was Schönes einfallen lassen. Irgendetwas Romantisches wie ein Brettspiel mit erfundenen neuen Regeln oder er hätte mir mit seiner samtweichen, schmeichelnden Stimme vorgelesen. Bestimmt hätte er den antiken Kamin im Salon angezündet. Ob er einen ebenso kitschigen Christbaum hatte? Ganz bestimmt war er stilvoller als Annas, mit den vielen glitzernden Plastikfiguren und bunt-blinkenden Lämpchen. Ob Lees Vater rechtzeitig zu Weihnachten nach London gekommen war? Auf einmal sehnte ich mich nach Lee und seinem ruhigen, antiken Haus am Berkeley Square.
Aber ich brauchte nicht zu warten. Ich hatte die Bushaltestelle noch nicht erreicht, als neben mir ein Auto hielt. Ein roter, funkelnder Mercedes Benz Roadster Coupé.
Verblüfft blieb ich stehen. Lee stieg aus.
»Magst du mitfahren?«, fragte er und lächelte verführerisch.
Was tat er hier? Wieso wusste er wieder, dass ich Hilfe brauchte? Wie damals am Tower? Aber eigentlich war es mir in diesem Augenblick egal. Ich
brauchte
jemanden. Ich konnte nichts sagen. Ich fiel ihm um den Hals. In diesem Moment kamen auch die Tränen. Lee sagte nichts. Er presste mich nur an sich und hielt mich fest. In diesem Augenblick geschah es.
Von einem Augenblick auf den anderen war das Auto fort. Ja, die ganze Straße war weg. Kein Haus war mehr zu sehen. Wir standen im Wald. In einem Winterwald. Es war gefroren und der Boden war mit einer zarten Schneedecke bedeckt. Rundum nur riesige Buchen und efeubedeckte Eichen ohne Laub. Dafür Nebel. Nicht dicht. Nur unheimlich.
»Wo sind wir?«, fragte ich erstaunt. Obwohl ich mich eigentlich langsam dran gewöhnt haben sollte.
Lee antwortete nicht. Ich sah auf – direkt in sein ungläubiges Gesicht. Seine Augen fixierten nicht die fremde Umgebung, sondern mich. »Oh!« Erst jetzt ging mir auf, dass wir
beide
hier waren. In einer anderen Zeit. An einem anderen Ort. »Okay, ich denke, es ist Zeit für eine Aussprache.« Ich löste vorsichtig meine Arme von ihm und trat einen Schritt zurück. Er hielt mich nicht fest. »Hin und wieder habe ich diese Visionen. Aber es ist das erste Mal, dass eine weitere Person aus meiner Umgebung darin vorkommt.«
Lee sah mich an, als hätte ich mich vor seinen Augen in Ruby verwandelt.
»Ich hoffe, du hast nicht auch so kalte und nasse Füße nachher«, fügte ich hinzu und biss mir auf die Lippe.
»Nasse Füße?«, wiederholte Lee.
»Ja, die Visionen sind ziemlich realistisch. Weißt du noch, als du mich vor Jaydens Wii-Party nach Hause bringen musstest? Ehrlich gesagt, war ich nicht in einen Hundehaufen getreten. Ich hatte diese Vision von einem Feld und stand plötzlich mitten im Matsch vor einem Schweineverschlag.«
Lee riss die Augen auf.
»Du hast das schon öfter erlebt?«
Seit der Auseinandersetzung mit Jack hatte ich ihn nicht mehr die Fassung verlieren sehen. Ich machte erschrocken einen Schritt zurück, stolperte über eine Wurzel und fiel rücklings hin. Es war kalt und ein wenig matschig, weil der Boden nicht komplett gefroren war. Und ich hatte mir die Hand aufgeritzt.
Das war der Moment, in dem ich begriff.
Wahrscheinlich sah ich jetzt genauso entsetzt aus, wie Lee.
»Das ist keine Vision, richtig?« Ich flüsterte. Lauter ging es nicht. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Meine Stimme steckte im Hals fest.
Trotzdem hatte Lee mich verstanden. Er nickte langsam. Er streckte eine Hand aus, um mir aufzuhelfen, aber dann zuckte er erschrocken zurück.
Der Pfropfen in meiner Kehle hatte sich gelöst. Ich schrie. Ich konnte nicht anders. Außerdem sprang ich mit einem Satz auf und rannte entsetzt ein paar Meter nach links,
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