Die Papiermacherin
davon, dass es im Hafen mehr Arbeit gibt?«, hakte Li nach, denn sie kannte Christos inzwischen gut genug, um zu bemerken, wann er nicht ganz die Wahrheit sagte oder ihr etwas verschwieg – manchmal in bester Absicht.
»Ach, Evangelia!«, sagte er, und da war ihr klar, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
»Zumindest Kleitos würde doch mit seinem Klumpfuß niemals eine Arbeit im Hafen finden«, meinte Li. »Wieso kommt er nicht?«
»Weil er bedroht und verprügelt wurde«, gab Christos nun zu.
Lis sonst vollkommen glatte Stirn bekam eine Zornesfalte. »Aber weshalb denn das? Stecken diese Nichtsnutze aus der Gerbergilde dahinter? Denen würde ich so etwas zutrauen …«
Aber Christos schüttelte den Kopf. »Es hat nichts mit den Gilden zu tun. Das waren verbohrte Ikonoklasten.«
»Diese Bilderhasser, die die Kirche angezündet haben, an der wir neulich vorbeigekommen sind?«
»Ja.«
»Aber … warum?«
»Vielleicht weil auf Eurem Papier die Ikonenmaler ihre Skizzen zeichnen! Wenn Kleitos noch einmal bei Euch gesehen wird, droht ihm Schlimmeres. Mit seinem Fuß steht er ohnehin im Verdacht, ein Verwandter des pferdefüßigen Satans zu sein …«
»Wurdest du auch bedroht?«
»Ja, aber ich bin nicht ängstlich. Davon abgesehen, hat es bisher niemand von denen gewagt, die Hand gegen einen Blinden zu erheben, denn den Blinden war ja unser Herr Jesus immer sehr zugetan, als er mit seinen Jüngern Heilwunder wirkte …« Ein mattes Lächeln erschien jetzt um seinen Mund. »Ich wollte Euch nicht unnötig beunruhigen, Evangelia. Sobald die Truppen aus dem Osten hier sind und der Kaiser die Bulgaren verjagt hat, werden sich viele Gemüter wieder beruhigen, das könnt Ihr mir glauben!«
»Das will ich hoffen«, murmelte Li.
Ein Ruck ging plötzlich durch Christos. Er hatte offenbar etwas gehört. »Es kommt jemand zu Euch«, stellte er fest.
Im nächsten Moment klopfte es an der Tür. Arnulf von Ellingen stand vor ihr.
»Bis morgen, Evangelia«, sagte Christos, der bereits seinen Blindenstock genommen hatte, mit dessen Hilfe er sich sicher durch das Gewirr der Straßen und Gassen von Konstantinopel zu bewegen wusste. »Von Herrn Arnulf werdet Ihr ja wohl nichts zu befürchten haben, denn ich habe bislang nicht gehört, dass er ein Bilderhasser wäre …«
Christos hatte Griechisch gesprochen, und so verstand Arnulf nichts von seinen Worten.
»Pass auf dich auf«, sagte Li besorgt.
»Das ist nicht nötig«, erwiderte Christos. »Ich trage den Namen des Herrn, und schon allein deswegen wird er auf mich achten, wie er es bisher immer getan hat!«
Li wusste, dass Christos in einem herrenlosen Haus zusammen mit anderen Tagelöhnern wohnte. Da die Stadt einmal weitaus mehr Einwohner hatte als zurzeit, gab es genug verfallende Häuser, von denen Tagelöhner und Bettler manche vorübergehend in Besitz nahmen. Li hatte dieses Haus noch nie gesehen, und Christos machte stets wechselnde Angaben über seine Lage. Er wollte anscheinend nicht, dass Li seinen Unterschlupf kannte.
Li schloss die Tür und wandte sich an Arnulf. »Er hat dich erkannt! Aber frag mich nicht, woran! Vielleicht am Geruch deines Lederwamses oder an den Geräuschen deines Schwertgehänges …« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin immer wieder überrascht, dass er ohne Augenlicht besser zu sehen vermag als mancher Sehende!«
Sie näherte sich ihm und schlang die Arme um seinen Hals. Ihr Herz schlug heftiger, und ein Lächeln spielte um ihre vollen Lippen, als sie ihn zärtlich ansah. Er erwiderte den Blick und umfing ihre Taille. Aber noch bevor sich ihre Lippen zum Kuss trafen, spürte Li, dass sich etwas verändert hatte. Die Leichtigkeit und Unbeschwertheit ihrer ersten innigen Begegnung war verschwunden. Irgendetwas schien Arnulf davon abzuhalten, sich dem Zauber des Augenblicks hinzugeben.
Er löste sich von ihr. »Ich muss mit dir über ein paar sehr wichtige Dinge reden«, kündigte er an.
Bei diesen Worten schnürte es ihr förmlich die Kehle zu. »Du willst mir sagen, dass du bald aufbrechen musst und nach Saxland zurückkehrst?«
Er nickte. »Ja, so ist es. Ich habe den Brief von Basileios an Otto ausgehändigt bekommen, und nun gibt es von Amts wegen keinen Grund, länger hierzubleiben. Abgesehen davon, scheine ich hier in Konstantinopel nicht länger willkommen zu sein …«
»Warum nicht?«
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Die Fallen der oströmischen Hofpolitik … Da weiß, glaube ich, nicht einmal
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