Die Papiermacherin
noch ganze Stapel von Papierbogen verschiedener Sorten herumstanden. Außerdem hingen Hunderte von Blättern zur letzten Trocknung an Wäscheleinen. »Ihr hättet am Tag herkommen sollen«, meinte sie. »Die Wasserzeichen lassen sich am besten bei Sonnenlicht erkennen!«
»Was ich sehe, begeistert mich bereits«, erklärte Lorenzo und zog dreist eines der Blätter von der Leine. Er befühlte das Blatt und hielt es dann gegen das Licht des Leuchters, den Li auf einer großen Truhe abgestellt hatte, in der sie einen Großteil ihrer Kleider aufbewahrte, denn in ihrem Schlafgemach war dafür kein Platz.
»Ich denke, dass ich Euch nicht zu viel versprochen habe«, stellte Arnulf fest.
»Ein Papier wie dieses habe ich noch nicht einmal in Alexandria gesehen!«, lobte der Venezianer. Er wandte sich an Li. »Ich bin sehr an Eurem Können interessiert und finde, dass sich unsere Fähigkeiten und Verbindungen wunderbar ergänzen könnten.«
»Seid Ihr an meiner Handwerkskunst interessiert oder lediglich daran, mir ihre Geheimnisse zu entlocken?«, erwiderte Li.
»Er möchte eine Papierherstellung in Venedig aufbauen und sucht schon länger nach einem Handwerksmeister, der über das nötige Können verfügt«, sagte Arnulf. »Angesichts der Schwierigkeiten, die du hier hast, wäre es doch überlegenswert, auf dieses Angebot einzugehen.«
Noch ehe Li etwas sagen konnte, ergriff wieder Lorenzo das Wort. »Wenn Ihr nach Venedig kommt, wird Euch niemand verbieten, Lehrlinge auszubilden, so wie hier! Und davon abgesehen sind die Bewohner unserer Stadt auch nicht gerade für ihr Eiferertum in Glaubensdingen bekannt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das, was Ihr vor Kurzem zu durchleiden hattet, dort wiederholen würde.«
Li hörte seinem unablässigen Redefluss zu und konnte kaum glauben, was ihr gerade widerfuhr. Immerhin gäbe es ihr Gelegenheit, zusammen mit Arnulf gen Norden zu reisen, und auch wenn sich ihre Wege in Venedig vermutlich wohl endgültig trennen mussten, bedeutete dies doch einen weiteren Aufschub.
Lorenzo sprach nun über Einzelheiten des Geschäfts. Er wollte die Geldmittel stellen, mit denen Li dann eine Herstellung für Papier aufbauen sollte. Er sprach von verschiedenen Möglichkeiten, wie die Anteile am Gewinn untereinander zu verrechnen seien, aber das interessierte Li im Augenblick nur in zweiter Linie. Es gab zunächst ein paar grundsätzlichere Dinge zu klären.
»Ich möchte Christos fragen, ob er bereit wäre, auch in Venedig für mich zu arbeiten«, erklärte sie. Zumindest eine treue Seele brauchte sie an ihrer Seite, wenn so ein Unternehmen tatsächlich gelingen sollte.
»Wenn Euer unternehmerisches Glück von einem blinden Handlanger abhängt, dann will ich dem nicht im Wege stehen.«
»Ich brauche ein paar Tage Bedenkzeit und werde mit Ragnar dem Weitgereisten sprechen müssen, mit dem ich bisher geschäftlich verbunden war. Außerdem sollte alles in einem Kontrakt festgehalten werden.«
Lorenzo D’Antonio lächelte breit. »Ihr gefallt mir. Das Talent zum Krämer muss man geerbt haben, und bei Euch scheint das der Fall zu sein. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Ihr mich tatsächlich richtig verstanden habt …«
Li hob die Augenbrauen. »Ich gestehe, Euer Latein klingt ein bisschen anders als meines und Ihr drückt Euch manchmal auf eine Weise aus, die für meine Ohren fremd klingt – aber ich meine nicht, dass ich Euch falsch verstanden hätte!«
»Ich dachte nicht daran, eine so winzige Werkstatt zu errichten, wie Ihr sie hier betreibt.«
»Ach, nein?«
»Das war durchaus nicht herablassend gemeint, Evangelia – wenn Ihr gestattet, dass ich Euch bei diesem Namen nenne. Aber ich weiß, dass der Bedarf an einem einigermaßen erschwinglichen Schreibmaterial in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sprunghaft wachsen wird. Der Handelsumsatz in unserem Hafen steigt und steigt, wir gründen ein Kontor nach dem anderen, und auf die neue Kunst der Glasbrennerei hat unsere Republik ein Monopol, weil es bislang niemandem gelungen ist, uns dieses Geheimnis zu entreißen.«
»Es scheint, als würdet Ihr im Hinblick auf Papier Ähnliches planen«, meinte Li.
»Das wäre für mich der Königsweg zum Erfolg!«, glaubte Lorenzo. »Und ich könnte den alten Säcken, die die Geschäfte meiner Familie führen, mal beweisen, dass ich mit meinen Ansichten Recht habe!«
Li brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass Lorenzo D’Antonio offenbar die älteren und ehrwürdigen
Weitere Kostenlose Bücher