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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Conny Walden
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allzu viel Furcht zu haben. Und das nicht erst seit dem heutigen Tag.«
    Die Dämmerung brach bereits an, als Li die kleine Kapelle südlich des Konstantin-Forums erreichte. An der Pforte stand ein Wächter. Seit es nach langer Zeit wieder zu Angriffen von Ikonoklasten kam, war es wohl unumgänglich, die Schätze der Kunst unter Bewachung zu stellen.
    »Tretet ein«, sagte der Wächter, ein Syrer, wie Li wusste. Er kannte Li, denn sie kam regelmäßig hierher – sie wusste genau, dass sie zu bestimmten Zeiten im halbdunklen Gewölbe dieser Kapelle Bruder Anastasius finden würde. Seit ihrer Ankunft in Konstantinopel hatte sie die Verbindung zu ihm nie aufgegeben und immer wieder seinen Rat und das Gespräch mit ihm gesucht.
    Er war es gewesen, der ihr durch die lateinische und die griechische Sprache das Tor zu der Gedankenwelt des Westens öffnete. Aber ihr Durst nach Wissen war seither noch keineswegs gestillt. Es tauchten immer neue Fragen für sie auf, mal über den Lauf ihres eigenen Lebens, dann wieder über Gott und die Welt. Manchmal wünschte sie sich, mehr Zeit zu haben, um sich solchen Fragen ausgiebiger zu widmen. Aber der Aufbau ihrer Papiermacherwerkstatt hatte zunächst ihre sämtlichen Kräfte an sich gebunden, und in dieser Hinsicht zeichnete sich keine Veränderung ab.
    Das Innere der Kapelle war reichlich mit Ikonen ausgestattet. Sie stellten die Stationen von Jesu Leiden dar, und bisweilen verlor sich Li im Anblick dieser kunstvollen Bilder mit ihrer eigentümlichen Sogwirkung.
    Bruder Anastasius beendete nun sein Gebet, in das er eine ganze Weile versunken gewesen war, und kam auf sie zu. Er schien nicht im Mindesten überrascht zu sein, dass ihre Schritte sie gerade heute in diese Mauern geführt hatten.
    »Was hast du auf dem Herzen?«, fragte er.
    »Ich brauche Euren Rat und Euren Beistand – wie schon so oft.«
    »Ich habe gehört, was mit deiner Werkstatt geschehen ist. Aber du bist keineswegs das einzige Opfer der Eiferer in dieser Nacht, auch wenn dich das nicht trösten wird.«
    »Die Tagelöhner trauen sich nicht mehr, für mich zu arbeiten.«
    »Mut ist eine Tugend, die nur selten zu finden ist, auch wenn der Herr spricht: Fürchtet euch nicht, denn ich bin bei euch alle Tage.«
    »Ich bin nicht hergekommen, um zu jammern«, sagte Li nach einer kurzen Pause.
    »Das hatte ich auch nicht erwartet.« Ein nachsichtiges, mildes Lächeln erschien im Gesicht von Bruder Anastasius.
    »Ich habe alles Leid ertragen, als ich nichts besaß, nicht einmal Herrin meiner selbst war und mein Leben zu Ende schien, noch bevor es richtig begonnen hatte. Dann habe ich kaum glauben können, wie viel Glück mir zuteilwurde, und jetzt fürchte ich nichts mehr, als dass mir alles unter den Händen davongleitet und ich dieses Glück nicht festhalten kann.«
    »Kein Mensch vermag das, was du dir wünschst. Das Glück, das du festhalten willst, hat dir nie gehört, sondern es wurde dir geschenkt.«
    »Mir ist ein Mann begegnet, dem ich in Liebe zugetan bin, der aber nicht bei mir bleiben kann. Ist es Gott gegenüber zu viel verlangt, sich zu wünschen, es wäre anders? Ich bin geduldig, aber der Herr schien mich einfach nicht erhören zu wollen, wenn ich ihn um etwas bat, dafür beschenkte er mich, wenn ich nichts erwartete. Er ließ meinen Vater sterben, mich aber die Seuche in Jerusalem überleben und nach Konstantinopel gelangen. Er gab mir die Möglichkeit, mich durch mein Handwerk gegen alle Schwierigkeiten hervorzutun – und jetzt lässt er zu, dass alles zerbricht! Wieso tut er das? Wieso gibt er mit der einen und nimmt mit der anderen Hand und lässt die Gläubigen dann über den Sinn rätseln?«
    »Ich habe keine Antwort darauf«, gestand Bruder Anastasius. Er deutete zu einer der Ikonen. »Selbst er ist daran verzweifelt, als er am Kreuz hing und rief: ›Vater, Vater, warum hast du mich verlassen?‹«
    Als sich Li auf den Rückweg machte, war es später als geplant.
    Sie hielt sich vorzugsweise an jene Straßen, in denen die Öllaternen bereits brannten oder auf die genug Licht aus den Häusern fiel.
    An ihrer Werkstatt angelangt, hörte sie von innen Stimmen.
    Sie hatte Christos gebeten, länger als sonst zu bleiben, denn angesichts der jüngsten Ereignisse wollte sie die Werkstatt nicht ganz unbehütet lassen. Christos hatte sich dazu sofort bereit erklärt, auch wenn Li nicht erwarten konnte, dass ein Blinder eine Schar von aufgebrachten Eiferern in die Flucht zu schlagen vermochte.
    Insgeheim

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