Die Papiermacherin
Wirklich!«
Der Eisenbringer begab sich wieder zu den anderen ans Feuer. Die ganze Zeit schon hatte Arnulf versucht, seine Fesseln gegen die Baumrinde zu scheuern – bislang erwiesen sie sich als robust, aber das brauchte ja nicht ewig so bleiben. Er musste hier schnellstens fort, denn Thorkild war unberechenbar.
Nach und nach wurde es im Lager ruhiger. Irgendwann weit nach Mitternacht verstummte auch die letzte angeberisch klingende Stimme. Schließlich war es vollkommen ruhig, und das Feuer brannte langsam nieder. Unermüdlich scheuerte Arnulf an dem Seil. Kurz vor dem Morgengrauen löste sich die Fessel. Vorsichtig erhob Arnulf sich. Thorkild hatte Wachen eingeteilt, aber die waren nicht besonders aufmerksam. Manche waren selbst eingenickt. Andere patrouillierten gähnend durch das Lager und hatten am Abend wohl selber zu sehr dem Met zugesprochen, um sich nicht auch nach Schlaf zu sehnen.
Beinahe lautlos schlich Arnulf in der Dunkelheit davon. Die meisten Wachen waren bei den Tieren, und so schien es unmöglich, sich ein Pferd zu nehmen, zumal ein einziges lautes Wiehern das ganze Lager aufgeweckt hätte.
Einen der wenigen Wächter auf der anderen Seite des Lagers schlug er mit einem harten Faustschlag nieder, ehe er den Ritter richtig bemerkt hatte. Arnulf duckte sich und hoffte, dass er sich im Schatten befand. Ganz leise waren zwei Stimmen zu hören, die den Wächtern bei den Pferden gehörten. Arnulf nahm unterdessen die Waffen des Bewusstlosen an sich – einen Dolch und ein Schwert, das vermutlich aus genau jenem unzerbrechlichen Stahl gefertigt worden war, das in diesem Land bevorzugt wurde.
Was geschah, wenn es hart auf hart ging, hatte er ja bei seiner eigenen Klinge erlebt. Das Metall, das die Schmiede in Tukharistan schmiedeten, war offenbar sehr viel bruchfester und jedem anderen Stahl überlegen.
Arnulf kauerte einige Augenblicke bei dem Bewusstlosen. Dann schlich er davon, und wenig später hatte ihn die Finsternis der Nacht in sich aufgenommen.
Ein ungewisser Weg lag vor ihm.
Elftes Kapitel
Ein weiter Weg nach Westen
Li dachte noch oft an Arnulf von Ellingen, und sie hörte aufmerksam zu, wenn fremde Händler auf den Basaren ihre Waren anboten und von den Ereignissen in Tukharistan sprachen. Immer wieder war auch von Fremden die Rede, aber nichts davon ließ sich mit Sicherheit auf das weitere Schicksal des fremden Ritters beziehen. Zudem gab es andere Dinge, die den Menschen Sorgen machten. Offenbar waren Reiter des Kara Khan bis in die Eisenberge vorgedrungen, und manche Schmiede beklagten schon, dass ihnen das gute Erz knapp wurde. Aber das waren nur Gerüchte. Für ein paar Wochen kampierte ein Heer des Emirs vor den Toren der Stadt. Es gab in den Bergen aufständische Stämme, die niedergeworfen werden mussten. Ob der Kara Khan sie zum Aufstand angestachelt hatte oder ob die Ursache in einer kürzlich erfolgten drastischen Erhöhung der Tributzahlungen lag – das vermochte Li nicht einzuschätzen.
Jedenfalls wünschte sich Li, dass der Christengott, an den Arnulf von Ellingen zweifellos glaubte, ihn beschützte. Der Gedanke an diesen Mann machte ihr gleichzeitig schmerzlich bewusst, dass es für sie wohl nie eine innige Verbindung zu einem Mann geben würde. Liebe, Ehe, Kinder und die Gewissheit, dass man nicht nur für sich selbst lebte, sondern einmal die Verehrung seiner Nachfahren erfuhr – das alles würde ihr versagt bleiben. Der Überfall einer Nomadenhorde in Xi Xia hatte diesen schicksalhaft festgelegten Plan für ihre Zukunft fortgefegt und bedeutungslos werden lassen. In der Tochter eines Papiermachers hätten in Xi Xia sicherlich genug Männer eine mögliche Ehefrau gesehen. Aber hier in Samarkand war ihr ein solcher Weg verbaut. Man mochte einigen der Papiermacher noch ansehen, dass ihre Vorfahren einst aus dem Reich der Mitte kamen, aber das hieß keineswegs, dass sie sich mit Li besonders verbunden fühlten. Sie war eine Fremde und außerdem eine rechtlose Schuldknechtin, die sich allenfalls mit ihresgleichen verbinden konnte. Aber kein Mann in Samarkand würde ihr zutrauen, dass sie Kinder zu gläubigen Muslimen erzog. Daran würde für sie auch nichts ändern, diesem Glauben beizutreten. Sie hatte es mehr als einmal erwogen, den Gedanken aber immer wieder verworfen. Vielleicht weil sie spürte, dass es ihren Vater tief verletzt hätte. Meister Wang schien es als Ausdruck seiner innersten Würde zu betrachten, sich in diesem Punkt nicht seiner
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