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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Conny Walden
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sein wie er selbst«, gab Li zu bedenken. »Das ist in dieser Familie womöglich tief verwurzelt.«
    »Umso schlimmer!«, meinte Meister Wang. »Wenn ihm seine Pflichten als Statthalter lästig sind, sollte er sie jemand anderem überlassen und sich ganz der Gelehrsamkeit widmen. Oder er dient mit aller Kraft seinem Emir!«
    »Aber für uns kann es doch nur gut sein, unter einer Herrschaft zu leben, für die Bücher und Papier in jeder Form einen so hohen Rang haben.«
    »Jeder Vorteil mag sich jederzeit in sein Gegenteil verkehren, Li«, murmelte Meister Wang besorgt.
    Tage vergingen, ohne dass Prinz Ismail von sich hören ließ. Allerdings wurde merklich weniger Papier hergestellt – und zwar nicht nur in der Werkstatt von Meister Mohammed. Li bemerkte auch, dass die Papiermacher der anderen Werkstätten jetzt häufig in Gruppen auf der Straße standen und sich unterhielten. Die Stimmung war gereizt. Sich zu diesen Männern zu gesellen wäre für Li unschicklich gewesen, aber einiges konnte sie aus den Gesprächen doch aufschnappen. Jemand erzählte, der Hof des Statthalters habe im Augenblick nicht einmal Geld, um die Lieferanten für Gewürze und Brot zu bezahlen. Ein anderer hatte gehört, es gebe bereits Unruhen unter der Stadtwache, weil deren Verpflegung schlechter geworden sei.
    Prinz Abu Nasr Mansur und sein Gefolge zogen schließlich nach mehreren Wochen aus der Stadt. Es gingen Gerüchte um, dass am Abend zuvor ein Bote des Emirs eine Nachricht überbracht hatte. Sie war auf jeden Fall dringend genug, um den Bruder des Statthalters zum sofortigen Aufbruch zu veranlassen.
    Der Winter kam in diesem Jahr sehr früh. Die Nächte wurden eisig, und Li fror selbst dann, wenn sie all ihre Kleidung übereinander anzog, dazu noch ein paar der Lumpen, die eigentlich hätten zerstampft werden müssen, und sich in ihre Decke einrollte.
    Selbst auf dem Weg aus Xi Xia war ihr nie so kalt gewesen. Gao bekam einen Husten, der sich stetig verschlimmerte und ihm die Kraft raubte. Das Brennholz für den Ofen wurde knapp, deshalb brannte das Feuer nicht die ganze Nacht hindurch. Und in der kalten, zugigen Werkstatt konnte man kaum auf Besserung für Gaos Zustand hoffen.
    Den Plan einer großen Sternkarte schien Prinz Ismail nicht mehr zu verfolgen. Stattdessen plagten ihn wohl ganz andere Sorgen. In einer dieser eiskalten Nächte wachte Li auf, weil von draußen Lärm zu hören war. Schreie gellten durch die Gassen. Pferde preschten daher und Waffen klirrten.
    Meister Wang war ebenfalls erwacht, während Gao aufgrund seines Hustens noch gar nicht richtig geschlafen hatte.
    Am nächsten Morgen lagen entsetzlich zugerichtete Leichen in den Straßen. Es waren allesamt Angehörige der Stadtwache, und Meister Mohammed glaubte zu wissen, dass sie und ihr Kommandant einen Aufstand gegen den Statthalter angezettelt hatten.
    Die Leichen wurden mehrere Tage liegen gelassen und nicht einmal die zahlreichen Diebe der Stadt wagten es, ihnen die Waffen oder Kleidungsstücke wegzunehmen. Immer wieder ritten Krieger des Statthalters durch die Straßen, um zu zeigen, dass jeder Widerstand sinnlos war. Hungrige Ratten hatten die Toten bereits angefressen, als man sie schließlich doch davonschleifte.
    Kaum jemand traute sich überhaupt auf die Straßen. Und in den Häusern und Werkstätten der Papiermacher herrschte zum ersten Mal, seit Li in Samarkand lebte, tagsüber Stille, ohne dass ein Feiertag gewesen wäre.
    »Man scheint unsere Dienste im Moment nicht zu benötigen«, meinte Meister Wang dazu.
    An einem besonders kalten Morgen klopfte es in aller Frühe an der Tür. Bewaffnete Männer standen davor, als Meister Mohammed öffnete.
    Ihr Anführer war ein korpulenter, gut genährter Mann mit einem mondrunden Gesicht. An seinem Gürtel trug er einen Lederbeutel, wie man es häufig bei den Händlern auf den Basaren sah. Er selbst war nur mit einem etwas längeren Dolch bewaffnet, wie Li bemerkte, als er sich den Umhang enger um die Schultern zog. Die Männer in seinem Gefolge aber trugen Schwerter.
    »Wer seid Ihr und was ist Euer Begehr?«, fragte Meister Mohammed blinzelnd und verschlafen.
    »Man nennt mich Firuz, und ich bin hier, um drei Papiermacher aus dem Reich der Mitte abzuholen«, erklärte er in einem geschliffenen Persisch, dessen Betonung und Aussprache sich jedoch in mancher Hinsicht von der in Samarkand gesprochenen Sprache stark unterschied. Er kam von weither, so war zu vermuten. »Es handelt sich um einen älteren

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