Die Papiermacherin
schönes Schriftbild konnte man auf diese Weise nicht hervorbringen. Selbst der geschickteste Kalligraf hätte das nicht vermocht, aber darauf war es dem Reiter wohl nicht angekommen.
Prinz Abu Nasr blickte auf und schien überrascht, Li zu sehen. Der junge Mann hingegen ließ sich überhaupt nicht in seinem Redefluss stören. »Dass die Erde die Gestalt einer Kugel hat, ist uns seit Langem bekannt, nur wo genau wir gerade auf dieser Kugel stehen, das lässt sich nicht so einfach sagen! Aber mit der Methode, die ich mir jetzt überlegt habe, müsste es eigentlich zu berechnen sein: Man bestimmt bei einer Mondfinsternis an zwei verschiedenen Orten, deren Entfernung man sehr gut vermessen hat, den Zeitpunkt, zu dem der Erdschatten eintritt. Und aus dem Unterschied kann man den Meridian genau ermitteln, auf dem …« Er stockte, als er Li bemerkte. »Wer ist das?«, fragte er leicht irritiert.
»Das ist Li, die talentierteste unter den Papiermachern von Samarkand«, erklärte Prinz Ismail. »Sie vermag wie niemand sonst die Kunst des Wasserzeichens anzuwenden. Ein Händler verkaufte sie mir, und ich bin froh, sie in meiner Stadt zu wissen.« Prinz Ismail wandte sich an Li. »Tritt näher, Papiermacherin. Mein Bruder Prinz Abu Nasr Mansur ist ein Förderer der Zahlenkunst und der Wissenschaft, und der Mann, der gerade ein Zeugnis seiner Beredsamkeit gegeben hat, ist trotz seiner Jugend bereits unter dem Namen Al-Biruni als gelehrter Sternendeuter über die Grenzen von Mawarannahr und Chorasan hinaus bekannt.«
»Kein Wunder!«, meinte Prinz Abu Nasr. »Er schreibt täglich mehrere Briefe an Gelehrte in Bagdad, Isfahan und anderswo, sodass er wahrscheinlich Bekannte in allen Ländern des Kalifen hat!« Mit sanftem Spott fügte er hinzu: »Eines Tages wird man ihn sogar in Indien und im Reich der Mitte kennen, wo es ja auch viele Gelehrte geben soll!«
Der junge Mann mit dem dünnen Bart wirkte ob des Spottes seines Förderers verunsichert. Und Li begann darüber zu rätseln, weshalb man sie in den Palast gerufen hatte. Ihre Befürchtung, es könnte etwas damit zu tun haben, dass sie Gao von dem geheimen Wasserzeichen des Prinzen erzählt hatte, schien sich nicht zu bewahrheiten. Doch warum war sie dann hier? Brauchte vielleicht auch Al-Biruni ein Wasserzeichen für seine Briefe?
Aber das, was man ihr nun eröffnete, ging weit darüber hinaus.
»Ich will mit Hilfe dieses jungen Sternendeuters eine Sternenkarte erstellen«, erklärte Prinz Ismail. »Sie soll groß sein wie ein Wandteppich – aber aus Papier. Die Positionen der Sterne sollen darauf in ihren exakten Abständen zueinander markiert sein, und ich möchte, dass das Papier Wasserzeichen enthält, die sie mit den bekannten Sternbildern verbinden, sobald von hinten Licht hindurchfällt. Hältst du so etwas für möglich?«
»Es ist sicher möglich, aber es bedarf einer sehr guten Planung«, erklärte Li.
»Dass wir uns nicht missverstehen: Ich will einen einzigen Bogen Papier haben, nicht mit Harz aneinandergeklebte Stücke, bei denen die Übergänge immer zu sehen sind.«
»Eine schwierige Aufgabe«, sagte Li ausweichend. »Wenn Ihr gestattet, werde ich mich mit meinem Vater darüber beraten, denn er versteht viel davon, wie ein geeignetes Sieb und ein Schöpfbecken herzustellen sind, während ich mehr Geschick bei den Wasserzeichen habe …«
»Du und dein Vater, ihr sollt alles bekommen, was nötig ist«, versprach Prinz Ismail. »In meiner Bibliothek gibt es ein Werk mit exakten Zeichnungen sämtlicher Sternbilder. Es sollen dir alle Drahtzieher zur Verfügung stehen und Maurerleute, die ein großes Schöpfbecken errichten können. Ich nehme an, dass sich ein Sieb, wie es dafür nötig ist, nur durch Winden und Flaschenzüge betätigen lässt.«
Li hörte den Worten des Statthalters zu und bemerkte den Ausdruck von Begeisterung in seinem Gesicht, der schon an Entrücktheit grenzte. All das, was die Menschen auf den Basaren redeten, was über knappes Metall, gestiegene Preise und einen drohenden Krieg erzählt wurde, schien den Statthalter von Samarkand in diesem Moment nicht weiter zu bekümmern.
Als Li zur Werkstatt zurückkehrte und ihrem Vater von dem Gespräch am Hof berichtete, schüttelte Meister Wang nur den Kopf. »Was der Prinz möchte, ist gewiss mit viel Aufwand machbar. Aber es wundert mich sehr, dass er die Zeit und offenbar auch das nötige Silber für solche Dinge hat!«
»Nun, sein Bruder scheint ein ebenso gelehrsamer Mann zu
Weitere Kostenlose Bücher