Die Papiermacherin
Umgebung anzupassen.
Gao hingegen war inzwischen Muslim geworden und hielt die Gebetszeiten genau ein.
»Wir werden hier den Rest unserer Tage verbringen«, meinte er einmal, als er zusammen mit Li auf dem Basar unterwegs war, um Lumpen einzukaufen.
»Ich bin mir da keineswegs so sicher«, entgegnete Li.
»Du glaubst wirklich, dass wir irgendwann zurück nach Xi Xia gelangen?« Er schüttelte den Kopf. »Unser altes Leben, das wir dort hatten, ist vorbei, Li. Und je eher wir es endgültig verabschiedet haben, desto weniger schmerzt es uns.«
»Bist du deswegen der Gemeinschaft der Gläubigen beigetreten?«
»Es ist immer das Beste, man unterscheidet sich nicht zu sehr von allen anderen.«
»Das ist sicher wahr … Dass wir irgendwann zurück nach Xi Xia gelangen, halte ich auch für ziemlich ausgeschlossen, obwohl …« Ein Lächeln huschte über ihr ebenmäßiges Gesicht. »Eigentlich solltest gerade du als frommer Muslim auf Allahs Gerechtigkeit und Barmherzigkeit vertrauen!«
»Darüber darfst du dich nicht lustig machen, Li. Ich finde mich einfach nur mit den Dingen ab, wie sie sind. Etwas, von dem dein Vater zwar immer sagt, dass man es tun soll – was er aber selber wohl nicht so recht fertigbringt.«
»Muss ein Wegweiser falsch sein, nur weil er nicht selbst in die Richtung geht, in die er weist?«, gab Li zurück.
»Nein, gewiss nicht.«
»Weißt du, ich kann es nicht erklären, und es ist auch mehr ein Gefühl als ein vernünftig zu begründender Gedanke – aber ich glaube tatsächlich, dass sich alles sehr schnell für uns ändern könnte. Dies scheint mir nicht der Ort zu sein, an dem wir für immer bleiben werden.«
»Denkst du daran, dass die Türken des Kara Khan der Macht unseres Herrschergeschlechts ein Ende bereiten könnten?«
»Zum Beispiel. Die Abgaben steigen, überall redet man vom Krieg und davon, dass die Schmiede fast nur noch Schwerter herstellen. Gestern hörte ich, dass Pferde nicht mehr zu bezahlen sind, weil sie für die berittenen Truppen des Emirs gebraucht werden.«
»Was bedeutet das schon für einfache Leute wie uns?«, gab Gao zurück. »Wir sind Papiermacher. Und solange ein Muslim und kein analphabetischer Christ oder Manichäer der Herr dieses Landes ist, wird Samarkand voller Bücher und gelehrter Schriften sein, die sich auf wundersame Weise vermehren und für die man Papier braucht!« Er zuckte die Schultern. »Man wird immer unsere Dienste benötigen und uns auf die eine oder andere Art ein Auskommen geben …«
Wenige Tage später wurde Li erneut in den Palast gerufen. Sie sollte sich nach der Zeit des Nachmittagsgebets dort einfinden.
Unvorsichtigerweise hatte sie Gao auf dessen Drängen hin erzählt, dass es sich bei ihrer Arbeit für Prinz Ismail um ein geheimes Wasserzeichen für sein Briefpapier handelte. Schließlich konnte sie sich darüber mit ihm recht gefahrlos in der Sprache des Han-Volks unterhalten, ohne zu befürchten, dass irgendwer etwas vom Inhalt ihrer Worte mitbekam. Über die Form des Wasserzeichens verriet sie natürlich nichts, obwohl Gao sehr neugierig war.
»Ich nehme an, der Prinz verlangt nach Abwechslung, was das Wasserzeichen für seine Briefe angeht«, glaubte Gao.
»Das nehme ich nicht an«, meinte Li. Sie lächelte. »Ich denke, dass die Empfänger seiner Briefe weiblich sind, und ich glaube, ich habe für ihn genau das richtige Zeichen gefunden, um das Herz der Adressatinnen zu erreichen.«
Als Li zur befohlenen Zeit im Palast eintraf, wurde sie in einen Saal geführt, in den das Licht durch hohe, mit Alabaster verblendete Fenster fiel – es pfiffen schon kalte Winde durch die Straßen der Stadt.
Auf einem großen Marmortisch lagen unzählige Papierstücke mit Zeichen.
Vor allem Zahlen waren darauf zu sehen.
Neben Prinz Ismail befanden sich noch zwei Männer im Raum. Der eine war Abu Nasr Mansur, ebenfalls ein Prinz des Herrscherhauses, der mit seinem Gefolge vor ein paar Tagen in die Stadt gekommen war. Li hatte den Zug gesehen, als sie gerade bei Kebir dem Schmied Draht für weitere Wasserzeichen kaufen wollte. Dem Gefolge gehörte auch der andere, sehr knabenhaft wirkende Mann an, dessen Bart so dünn war wie sonst nur bei den Männern des Han-Volks. Er war ihr vor allem deswegen aufgefallen, weil er auf einem Trampeltier saß und dabei versuchte, mit einem Silberstift auf ein Stück Papier zu schreiben, das sich über ein dünnes Brett spannte.
Nie zuvor hatte Li etwas ähnlich Seltsames gesehen. Ein
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