Die Papiermacherin
aufgestellt und Feuer entzündet. Es gab warme Decken aus Kamelhaar, in die man sich einrollen konnte. Ein Zelt war für Frauen bestimmt, und Li wurde angewiesen, dort zu nächtigen, während Gao und Meister Wang in einem der Männerzelte schliefen.
»Wir sollten froh sein, dass man uns nicht einfach auf der Erde schlafen lässt, wie es bei den Uiguren der Fall war!«, raunte Meister Wang seiner Tochter zu. Er hielt sich den Rücken. Der lange Ritt auf dem Kamel hatte ihm ziemlich zugesetzt. »Wir wollen nicht klagen, sondern hoffen, dass uns auch dieser Weg an ein gutes Ende führt!«
Noch fiel es Li schwer, daran zu glauben. Aber sie nahm sich ihren Vater als Vorbild an Gelassenheit. Ihn schien wirklich nichts aus der Ruhe bringen zu können – was für ein wechselvolles Schicksal sie auch erwartete.
Gao hustete und rang nach Luft. Er lief dabei rot an.
»Gao!«, stieß Li hervor, aber er war außerstande zu antworten. Meister Wang kümmerte sich um seinen Gesellen, konnte jedoch wenig für ihn tun. Im Reich der Mitte – und selbst in Xi Xia – hätte es im Umkreis von ein oder zwei Tagesreisen einen Arzt gegeben, der in der Lage gewesen wäre, durch Betrachten von Hand und Augen eine sehr sichere Diagnose zu stellen und eine wirksame Medizin zu mischen. Die Ärzte der Muslime wandten andere Methoden an, bei denen Li nicht sicher war, ob sie auf dem Wissen um den menschlichen Körper oder mehr auf Aberglauben gründeten. Und so berühmt einzelne Ärzte wie Ibn Sina über die Grenzen ihrer Heimat hinaus sein mochten, war es wohl nur in höchster Not ratsam, sich in ihre Obhut zu begeben.
Die Frauen im Zelt sahen Li misstrauisch an. Sie waren unterschiedlichen Alters, und Li rätselte noch, in welchem Verhältnis sie jeweils zu den Männern der Karawane standen. Zwei von ihnen hatten kleine Kinder auf dem Arm. Außerdem gab es ein Mädchen von ungefähr zehn Jahren. Ein Junge, der etwas älter war, schlief bei den Männern.
Den ganzen Weg über hatten sie laut untereinander geredet und sich von einem Kamel zum anderen etwas zugerufen, von dem Li vieles nicht verstand. Und bevor Li ins Zelt gekommen war, hatte sie ebenfalls lautes Stimmengewirr und schrilles Lachen gehört. Jetzt schwiegen sie, und es war klar, dass das nur an ihr lag.
»Mein Name ist Li«, begann sie.
»Ich hoffe, du schnarchst nicht«, sagte eine Frau. Sie hatte ihr Kopftuch zurückgeschlagen. Das Haar war kastanienfarben, die Augen sehr dunkel und ihr Blick drückte Stolz und Willensstärke aus. »Mein Name ist Fadia. Weißt du, was das bedeutet?«
»Ich nehme an, es ist ein Wort aus der Sprache des Propheten. Ich habe mich bemüht, einige Worte davon zu lernen, aber dieses kenne ich nicht.«
»Es bedeutet die Ritterin. Und das heißt, dass ich mir nichts gefallen lasse und um das kämpfe, was mir gehört.«
»Ich habe nicht vor, dir etwas wegzunehmen, Fadia!«
»Dann hör auf, die Sinne meines Mannes Firuz zu verwirren! Ich habe Augen im Kopf und sehe genau, was sich ankündigt! Ein falscher Blick, und ich werde dich so schlimm schlagen, dass du es nie vergessen wirst, gelbe Frau!«
»Fadia …«
»Es reicht völlig, wenn du mich Herrin nennst!«
Verwechselte Fadia da nicht etwas? Schließlich war es ihr Mann Firuz, der Li immer wieder auf eine Weise ansah, die der Papiermacherin die Schamesröte ins Gesicht trieb. Sie war sich keinerlei Schuld bewusst und wollte wirklich alles andere, als diesen Mann auf sich aufmerksam zu machen. Allein die Vorstellung, dass er in ihre Nähe trat, verursachte Li Übelkeit. Aber Fadia dies zu sagen erschien ihr wenig ratsam.
»Sei nicht zu streng zu ihr«, meinte eine Frau, die etwas jünger wirkte. Ihre Züge waren weicher, ihr Haar glänzte fast so schwarz wie das von Li. Und während Fadias Stimme an das Klirren von Schwertern erinnerte, durchdringend und scharf, klang jene der Jüngeren viel weicher und zurückhaltender. »Ich bin Jarmila«, sagte sie, »Firuz’ andere Frau.«
»Sie kann dir sagen, wie hart ich schlagen kann!«, setzte Fadia noch hinzu. »Also sei gewarnt, gelbe Frau!«
Fadia hatte so laut gesprochen, dass eines der Kleinkinder aus dem Schlaf geweckt wurde und zu schreien anfing.
»Fadia, musste das denn sein!«, murrte die Mutter und wiegte ihr Kind.
»Mein Mann gibt deinem das Brot, also beklag dich nicht, Alya«, gab Fadia unfreundlich zurück. Dann kroch sie mit ihrer Decke auf die andere Zeltseite und rollte sich dort ein.
Jedenfalls kenne ich nun den Verlauf
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