Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
Dschungel-Lodge sitzen und lässt sich von Sonnenbrand, Heimweh und vom Mopedfahren auf Schotterwegen erzählen. Oft ist die Verbindung schlecht. Wenn die Töchter am anderen Ende der Welt zum Ende des Gesprächs fragen, wie es ihr geht, sagt sie: gut. Alles in Ordnung. Was soll sie sagen? Die Sparpläne des Berliner Bildungssenators gehören nicht nach Indonesien oder Malaysia oder Neuseeland. Soll sie in dieses blöde Headsetmikrofon etwas von der letzten Schulkonferenz und von dem Ärger auf dem Elternabend und von Tuncay sagen, der sich keine zehn Sekunden auf eine Sache konzentrieren kann? Soll sie ihren Töchtern sagen, dass sie sich alleine gelassen fühlt? In der Schule, in Berlin, in der Wohnung. Nein, es ist alles okay. Alles ganz normal. Wird immer schlimmer. Wie gewohnt. Die Schüler, die Frau Schach umarmen wollten, sind gegangen und die Eltern, die Frau Schach zum Abschied eine Flasche Wein schenkten, mit ihnen. Die Töchter sind gegangen. Der Mann ist gegangen.
Weil sie die große Wohnung nicht aufgeben wollte, hat Frau Schach eine Anzeige aufgegeben: Seitdem wohnt immer eine junge Frau bei ihr, meist sind es Studentinnen aus dem Ausland. Eine richtige WG, sagt Frau Schach. Sie kochen zusammen. Das hält jung. Die Arbeit mit den Kindern an der Schule hält nicht jung. Die macht alt. Frau Schach will bald ein Sabbatical, ein Jahr Pause, einlegen. Dann ist sie endlich diejenige, die geht. Sie könnte reisen. Oder im Ausland unterrichten. In Finnland vielleicht. Finnland schneidet bei der PISA-Studie regelmäßig am besten ab. In Finnland sind die Klassen klein und die Geduld groß. Wenn ein Schüler nicht mehr mitkommt, dann rückt eine Art »Feuerwehr« aus Pädagogen und Mitschülern an und kümmert sich ganz individuell um ihn. Bis er wieder Anschluss gefunden hat. Klingt wie das Lehrerparadies.
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen sollte, wenn ich dir erzählen müsste, was hier alles schiefläuft. Es ist deprimierend. Ich meine, ich habe mal richtig motiviert angefangen. Ich wollte jedem Kind eine gute Zukunft ermöglichen, mich um jedes Kind kümmern«, sagt Frau Schach. Sie erzählt eine Geschichte, die jeder Lehrer erzählen kann, zumal in Berlin. Eine Geschichte vom Ausbaden gesellschaftlicher Versäumnisse, von fehlendem Respekt. Eine Geschichte von Menschen, die das Gefühl haben, sie seien jeden Tag in einer aussichtslosen Mission unterwegs. Und dann gelten sie doch wieder nur als faule Beamte. »Ich will nicht jammern«, sagt Frau Schach.
An einigen Berliner Schulen konnten im vergangenen Schuljahr keine Halbjahresnoten vergeben werden, weil so viel Unterricht ausgefallen war. Viele ältere Lehrer sind dauerkrank, ihre Stellen konnten nicht neu besetzt werden. Lange hieß es aus der Berliner Bildungsverwaltung trotzdem beharrlich, es herrsche kein Lehrermangel. Erst kürzlich wurden endlich rund tausend neue Stellen versprochen. Frau Schach sagt, die langen Diskussionen über diverse Schulreformen, die dann doch nicht zustande kommen, seien zermürbend. Mittlerweile werden an der Blücher-Grundschule die ersten drei Jahrgänge in einer gemeinsamen Klasse unterrichtet, »das hilft ein wenig«, sagt Frau Schach, »so können schnelle Schüler mit den Älteren lernen und die Langsamen werden nicht einfach zurückgelassen. Aber als Lehrer muss man Lust haben, neue Konzepte auszuprobieren. Viele Kollegen, die schon länger dabei sind, haben aber keine Lust mehr und ich kann sie verstehen.«
Selbstverständlich, sagt Frau Schach, hat das alles auch mit der ewigen Debatte um den »Ausländeranteil« zu tun.
Frau Schach weiß nicht mehr, wann die Blücher-Grundschule umgekippt ist. Ein paar Jahre nachdem wir weg waren wahrscheinlich. Es wurde zwischenzeitlich wieder besser. Sie ist die Erste, von der ich höre, dass Grundschulen in Berlin »umkippen«. Reihenweise. Aber sie ist nicht die Letzte, von der ich das höre. »Ab 60 Prozent NdH-Anteil wird es schwierig, guten Unterricht zu gestalten«, sagt sie. Frau Schach spricht oft von »NdH-Kindern«. »Nichtdeutscher Herkunft?«, frage ich. »Nein, nein, nichtdeutscher Herkunftssprache, das ist ein wichtiger Unterschied!« Manche Lehrer sagen, sobald mehr als die Hälfte der Schüler NdH-Kinder seien, bekomme eine Schule Probleme. Andere Lehrer sprechen von 70 Prozent. In Frau Schachs Welt gibt es NdH-Kinder und Kinderladen-Kinder. Das sind die zwei Extreme. Ein Kinderladen ist ein Kindergarten, nur dass er nicht staatlich, sondern von einer
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