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Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Titel: Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Bauer
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Blücher-Grundschule.
    Frau Schmidtke wirkt so, als habe sie keine Zeit, sich auch noch um die Sehkraft ihrer Schüler zu kümmern. »Also, ganz kurz, ich muss gleich zu einer Klassenkonferenz!« Sie zeigt auf einige Zettel: »Der Anteil an NdH-Kindern ist konstant, aber hoch bei uns. Hier, Sie sehen, dass es vor allem Kinder aus türkischstämmigen Familien oder Familien aus dem Libanon sind.« Ist das ein Problem? »Erstmal nicht, es ist eine Herausforderung«, sagt Frau Schmidtke. An der Blücher-Grundschule gibt es Deutsch-Kurse für Eltern, diverse Nachhilfekonzepte, Partnerschaften. »Wir machen viel«, sagt Frau Schmidtke, »aber für viele deutsche Eltern gelten wir als Problemschule. Und ich weiß nicht, wie sich das ändern soll. Solche Vorurteile halten sich hartnäckig, Eltern warnen sich gegenseitig, geben sich zweifelhafte Ratschläge und machen sich gegenseitig ganz hysterisch.«
    Im Internet finden sich diverse Anleitungen für besorgte Eltern von Kindern, die bald eingeschult werden sollen. Da steht zum Beispiel: »Sie wohnen in Berlin-Kreuzberg, haben schulpflichtige Kinder und wollen diese in einer ganz normalen Grundschule einfach anmelden? Viel Glück! Sollten Sie jedoch feststellen, dass die Schule in ihrem Einzugsbereich nicht in Frage kommt, dann kaufen Sie sich eine große Packung Baldrian oder Johanniskraut. Im Bezirk gibt es zwanzig Grundschulen. In neun dieser zwanzig Grundschulen liegt der Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache bei über achtzig Prozent, in vier davon sogar bei über neunzig. Das allein sagt vielleicht noch nicht viel aus, aber hier im Bezirk liest das jeder als Indikator für Sprachprobleme, grobmotorische Umgangsformen und damit als schwierige Ausgangssituation für den Schulalltag. ›Bildungsfern‹ ist hier das neue Schlagwort.«
    Beim Begriff »bildungsfern« fällt mir Frau Schmidtke ins Wort. »Das ist es ja! Wir haben wirklich ein Problem mit Kindern, denen in ihren Familien nichts geboten wird, um die sich zuhause niemand kümmert. Aber das sind nicht nur die NdH-Kinder, wir haben ja auch noch viele deutsche Kinder hier – und die stammen auch fast alle aus bildungsfernen Familien!« Frau Schmidtke erzählt, dass sie manchmal mit Eltern hier sitzt, die ihr erklären, das Kind gehe gegen Mitternacht ins Bett, und schlafe vor dem Fernseher ein und morgens nehme es sich eine Tüte Chips aus dem Küchenschrank mit. »Die werden ihrer Verantwortung nicht gerecht, wir haben hier mit sozialer Verwahrlosung zu tun«, sagt sie, »unter diesen sozial schwachen Familien sind viele nichtdeutsche Familien. Aber wir haben auch viele deutsche Familien, in denen Sprachlosigkeit herrscht. In denen die Kinder nicht Deutsch lernen.«
    Vier Vorzeige-Grundschulen gibt es derzeit in Kreuzberg. Sie gelten jedenfalls als Vorzeige-Schulen, weil der Anteil deutscher Schüler dort gen hundert Prozent geht. »Diese Schulen gewinnen den Wettbewerb«, sagt Frau Schmidtke. Einen Wettbewerb, an dem sie gar nicht teilnehmen will. Bis zum vergangenen Jahr änderten deutsche Mittelschichts-Eltern sogar zum Schein ihren Wohnsitz, bloß um in den Einzugsbereich dieser anderen Schulen zu kommen. Das ist mittlerweile gar nicht mehr nötig, denn seit dem Schuljahr 2010/2011 gilt in Berlin eine Wahlfreiheit. »Das ist natürlich verheerend«, sagt Frau Schmidtke, »so wird die soziale Trennung noch viel stärker. Diese vermeintlich erfolgreichen Schulen, die gar nicht viel mehr anbieten als wir, gehen direkt in die Kinderläden und bieten den Eltern an, die ganze Gruppe in eine Klasse einzuschulen. Das könnten wir auch machen, aber ich will das nicht. Ich bin ja nicht der Dienstleister für gutverdienende deutsche Eltern, meine Schule soll für alle da sein.« Aber jetzt ist es so weit gekommen, dass die Blücher-Grundschule nur noch für die da ist, die sonst niemand haben will. »Unter unseren Schülern sind ja genügend interessierte, wache Kinder. Aber es ist ein Teufelskreis: Wegen des NdH-Anteils haben wir ein Image, das wir nicht mehr loswerden.« Was auch zu diesem Teufelskreis gehört: Viele Schulen in der Umgebung haben unter den Schülern einen so hohen Anteil an Kindern aus Haushalten, die staatliche Unterstützung bekommen, dass die Schulen keine Lernmittelförderung bekommen. Die Schulbücher der bedürftigen Kinder werden ohnehin vom Staat bezahlt, also bekommt die Schule kein Geld mehr für Bücher. Das Problem: Eltern, die sich und die Bücher ihrer Kinder selbst

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