Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
Elterninitiative organisiert ist. Ich habe in den achtziger Jahren einen solchen Kinderladen besucht. Unsere Erzieherin hieß Silvy und der Erzieher »der Falk«, wir rannten nackt im Garten rum und unsere Eltern waren alle mal zum Studieren nach Berlin gekommen. Der erste Kinderladen wurde 1967 in Frankfurt gegründet, und wahrscheinlich nannte man diese alternative Kinderbetreuung damals »Laden«, weil das irgendwie locker klang, nach »so nem Laden« eben, in dem jeder machen kann, was er will. In einem Garten züchtet man Kinder und schneidet sie zurecht. In einem Laden bietet man ihnen etwas an. Meine Freundin, die aus München stammt und einen Kindergarten besucht hat, macht sich über die vielen Berliner »Kinderläden« lustig. Sie sagt, das klinge, als könne man dort Kinder kaufen.
Frau Schach sagt, die Eltern von Kinderladen-Kindern seien gebildet, solvent, sehr interessiert, sehr kritisch, sehr an der Schule interessiert. »Die Eltern der NdH-Kinder dagegen«, sagt Frau Schach und schiebt dazwischen, was sie so oft dazwischenschieben muss: »und das ist jetzt sehr verallgemeinernd«, seien »sozial schwächer gestellt, eher wenig interessiert und selten auf Elternabenden anwesend.« Beide Sorten von Eltern können für eine Lehrerin anstrengend sein: übereifrige Eltern, die nur das Beste für ihr Kind wollen. Und antriebslose Eltern, denen das schulische Vorankommen ihres Kindes egal ist.
»Ich pauschalisiere mal eben weiter«, sagt Frau Schach: NdH-Kinder sprechen in der Regel schlecht deutsch, haben nicht oder nur kurz einen Kindergarten besucht, weisen bei der Einschulung erhebliche motorische Mängel auf, sind in einer »sehr reizarmen Umgebung« aufgewachsen und haben ihren Bezirk nie verlassen. Kinderladen-Kinder können schon lesen und schreiben, wenn sie in die Schule kommen, haben nach der Schule keine Zeit, weil sie auch noch diverse Vereine und Musikkurse besuchen, gucken viel weniger Fernsehen und sind mit ihren Eltern bereits um die Welt gereist. Frau Schach erzählt von Kindern, die in die erste Klasse kommen und nicht wissen, wie sie einen Stift halten sollen. Und von Kindern, die sich in der ersten Klasse bereits auf Englisch vorstellen können. »Gab es denn zu unserer Zeit diese Unterschiede nicht?«, frage ich. »Doch, die gab es«, sagt Frau Schach, »aber es gab mehr Kinderladen-Kinder als NdH-Kinder, oder wie bei euch eben eine ausgeglichene Mischung. Bei euch in der Klasse gab es auch jemanden wie Cem, der mich in der ersten Klasse fertig gemacht hat, weil er nur aggressiv war. Oder es gab die Oma von Dina, die mir erzählte, sie wisse gar nicht, warum ihre Tochter zur Schule gehen müsse, sie selbst habe auch nie eine Schule besucht und käme trotzdem durchs Leben. Aber Cem und Dina und die anderen haben davon profitiert, in eine so bunt gemischte Klasse zu kommen. Sie haben neue Einflüsse bekommen. Und ihr habt auch von ihnen profitiert. Na ja, von Cem vielleicht nicht, der blieb ja dann auch sitzen.«
Der NdH-Anteil an der Blücher-Grundschule beträgt derzeit etwa siebzig Prozent. In Frau Schachs aktueller Klasse sind acht von vierundzwanzig Schülern deutsch. In einer ihrer letzten Klassen gab es nur einen deutschen Jungen. Die Mutter des Jungen schrieb Frau Schach eines Abends eine Mail, Frau Schach leitet mir diese nach unserem Treffen weiter.
»Das Grundproblem«, schreibt die Mutter, »ist einfach die Klassenaufteilung: viele deutsche Mädchen und fast ausschließlich muslimische Jungs. Für dieses Missverhältnis kann kein einziger muslimische Junge etwas. Yussef und Hasan sind wahrscheinlich nur so mächtig in der Klasse, weil es einfach keinen männlichen Gegenentwurf gibt. Für Benedikt ist diese Situation besonders problematisch. Er wird tagtäglich mit einem Weltbild und mit Verhaltensweisen konfrontiert, die ihm ganz fremd sind, denen er sich jedoch anpassen muss, wenn er Freunde haben will. Er fragt: ›Mama, was heißt auf den Koran schwören? ‹, ›Was heißt es, wenn ein Mädchen keine Ehre hat?‹ Es ist dieses ganz bestimmte Bild von Männlichkeit, dem er gehorchen muss, wenn er dazugehören will. Er muss sich schlagen, sich wehren, Ausdrücke sagen, die Mädchen meiden. Da er im Grunde ein ganz anderer Junge ist, steht er mittlerweile permanent unter Hochspannung: Er ist einerseits sehr weinerlich und bekommt andererseits bei nichtigen Anlässen richtige Wutanfälle. Manchmal sitzt er schon morgens mit geballten Fäusten am Frühstückstisch, murmelt
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