Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
finanzieren, müssten für die Schulbücher selbst aufkommen, wenn ihre Kinder eine solche Schule besuchen. So werden diese Problemschulen für Besserverdienende erst recht unattraktiv – und bleiben Problemschulen. Frau Schmidtke sagt dann einen interessanten Satz, sie sagt: »Irgendwann habe ich mir gedacht: Freu dich doch über den hohen NdH-Anteil!« Sie sagt, an ihrer Schule könnten Lehrer noch etwas bewegen, hier gebe es wirklich etwas zu tun. Wenn das Geld und das Personal dafür da wären. »Ich kann mich aber nicht so richtig freuen, denn gleichzeitig bekomme ich natürlich von der Schulverwaltung zu hören: Was ist denn bei Ihnen los? Warum werden denn diese Zahlen nicht besser?« Als könne Frau Schmidtke etwas dafür, dass in ihrem Bezirk die Menschen leben, die dort leben. Sie müsse eben, sagen die Vorgesetzten, die »richtigen« deutschen Schüler an die Schule holen. »Aber wir sind doch hier kein wirtschaftliches Unternehmen, wir sind doch eine offene Bildungseinrichtung«, sagt Frau Schmidtke und haut auf den Tisch, dass die Zettel mit all den Spalten und Herkunftsländern hüpfen.
Vor wenigen Jahren antwortete Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit auf die Frage, ob er seine Kinder, die er nicht hat, auf eine Schule in Kreuzberg schicken würde, mit einem trockenen »Nein«. Er würde »jeden verstehen, der sagt, dass er da seine Kinder nicht hinschickt«, sagte Wowereit. Die Empörung war groß. »Da fühlte ich mich persönlich angegriffen«, sagt Frau Schmidtke, »wir leisten hier engagierte Arbeit und der hat nichts Besseres zu tun, als den ganzen Bezirk zu stigmatisieren.« Nicht nur das: Der Berliner Senat, dem Wowereit vorsteht, ist immerhin für die Schulpolitik zuständig. Offenbar fehlt dem Mann, der politisch dafür verantwortlich ist, dass es in seiner Stadt keine Schulen gibt, auf die man sein Kind nicht schicken will, der Glaube, dass sich die Situation verbessern lässt. Wowereit hat resigniert. Weil die Empörung groß war, besuchte der Regierende Bürgermeister wenig später zur Entschuldigung tatsächlich noch einmal Kreuzberger Schulen. Vorzeigeschulen. Schulen, die er ursprünglich gar nicht gemeint haben kann. An der Blücher-Grundschule hat sich Wowereit nicht blicken lassen.
Frau Schach wartet vor dem Lehrerzimmer. An der Wand hängt ein überdimensionales Foto der Fußball-Nationalmannschaft. Özil, Khedira, Boateng blicken kernig in die Kamera. Das Bild soll wohl Motivation und Mahnung zugleich sein: Jeder kann es in diesem Land ganz nach oben schaffen, egal, woher seine Familie stammt. Aber wer wird schon Fußballprofi. Frau Schach hat ein Fotoalbum dabei, das wir ihr zum Abschied gebastelt haben. Jeder Schüler hat eine Seite gestaltet. »Liebe Schachi, ich werde dich vermissen«, habe ich geschrieben. »Ihr wart eine tolle Klasse«, sagt Frau Schach. Ihre Gegenwart lässt die Vergangenheit wohl etwas zu idyllisch erscheinen. »Ihr habt keine Cliquen gebildet«, sagt Frau Schach, »ihr wart füreinander da!« Dass es zwar keine Cliquen gab, dafür aber einen tiefen Graben zwischen Mädchen und Jungen, regelmäßige Prügeleien zwischen den Geschlechtergruppen und auch viele Jungen und Mädchen, die nicht vorlaut oder cool genug waren, um von den anderen Jungen oder Mädchen akzeptiert zu werden, hat sie wohl vergessen. Sven, Dina, Anupama, Murat. Es gab auch in unserer Klasse Außenseiter.
»Miriam habe ich kürzlich auf einer Lehrerkonferenz getroffen«, erzählt Frau Schach, »ich wusste immer, dass sie auch mal Pädagogin wird!« Frau Schach wirkt jetzt ganz aufgeregt. »Simon macht bestimmt irgendwas mit Sport, unser Superathlet! Und Anna ist sicher bereits Professorin oder so! Ja, und du, ich meine, geschrieben hast du schon immer viel, auch wenn man es nicht immer lesen konnte!« Ich frage Frau Schach, was sie von Ahmed erwartet hat. »Schwer zu sagen, bei Ahmed habe ich mir keine Illusionen gemacht«, sagt Frau Schach, »der war ziemlich wild.«
Der kleine Tuncay, der vor wenigen Tagen an meinem Arm hing, kommt auf uns zugerannt. »Du bist wieder da, du kommst jetzt immer«, ruft er. »Die brauchen Vorbilder«, sagt Frau Schach, »und zwar nicht bloß Vorbilder aus ihrem Bekanntenkreis.« Deswegen hat Frau Schach sich jetzt etwas Neues einfallen lassen. Sie lädt nicht mehr nur die NdH-Kinder mit Sprachproblemen zum Nachhilfeunterricht ein – sondern die gesamte Klasse. »Früher«, sagt sie, »haben sich die Nachhilfe-Kinder über diesen
Weitere Kostenlose Bücher