Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Titel: Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Bauer
Vom Netzwerk:
Texten krass.« Wutbefall rappen von Gewalt, Sex und, wie könnte es anders sein, von der Wut, die sich angestaut hat. Wenn sie in Jugendhäusern auftreten, tragen sie schwarze T-Shirts, auf denen fett »W.U.T.« steht, aber sie sind liebe Jungs. »Ich kann im Studio ausleben, was ich sonst nicht mehr ausleben kann«, brüllt Cem. Wir sind jetzt sehr betrunken. Wir brüllen an gegen den Lärm der Nacht. »Oh Mann«, sagt Cem, »du hast mich betrunken gemacht, wo soll das enden.« Vielleicht sollte Cem in ein Taxi steigen, das ihn an den Stadtrand fährt, denke ich. Unbedingt sollte er in ein Taxi steigen.
    Er hat andere Pläne. »Wir suchen jetzt meinen kleinen Bruder«, sagt er. »Ich muss auf ihn aufpassen!« Wir wanken aus der Kneipe. Cem ruft seinen Bruder an, aber der ist nicht erreichbar. »Ab nach Neukölln«, schreit Cem, »Ghetto, wir kommen!«
    Der kleine Bruder lebt mit der Mutter in einer Sozialbausiedlung in dem Teil von Neukölln, von dem Polizisten sagen, sie würden sich dort nicht mehr blicken lassen. Die U-Bahnstation dort wird von arabischen Dealern kontrolliert und von Junkies bevölkert, die sich gerne am Bahnsteig ihren Schuss setzen. Der kleine Bruder ist 18. Die Realschule hat er abgebrochen und Cem glaubt, er habe gerade angefangen, Haschisch zu verkaufen. »Die fangen erst mal klein an, damit verdient man aber auch okay. Der kauft sich ständig neue Klamotten und hat jetzt einen riesigen Flatscreen-Fernseher. Er sieht auf der Straße die Vorbilder: junge Typen ohne Schulabschluss, die dicke BMWs fahren. Ich frage ihn, ob er Arbeit hat, er sagt, nein, er hänge nur draußen rum. Klare Sache, der wird ein Dealer. So eine Scheiße!«
    Die Mutter kriegt natürlich nichts mit, sie braucht ihre Flasche Weinbrand am Tag, dann stellt sie keine Fragen. Sie stellt auch ihrem neuen Freund keine Fragen. Der ist ein Jahr jünger als Cem, ein Palästinenser. Er wohnt in einem Asylbewerberheim, schläft aber meistens im Bett der Mutter. »So ein fauler Wichser«, sagt Cem, »ich war schon oft kurz davor, ihm eine zu verpassen.« Die Mutter hat Cem kürzlich mitgeteilt, dass sie den neuen Freund bald heiraten wolle. Da hat Cem ihr gesagt, dass sie endlich verstehen solle, dass der Freund nur auf der Suche nach einer Aufenthaltsgenehmigung ist. »Was will der sonst von dir?«, hat er die Mutter gefragt. »Der liebt mich«, hat sie geantwortet. »Sie glaubt das wirklich«, hat Cem gesagt, »sie sieht sich schon selbst unscharf, wenn sie in den Spiegel schaut. Sie sieht die Realität nicht mehr. Auf dem Standesamt werden die einen Lachkrampf bekommen, wenn meine Alte mit dem jungen Palästinenser kommt, den sie kaum kennt, und sagt, dass sie ihn heiraten will!« Die Mutter sagt, deutsche Männer seien ihr zu kompliziert. »Deutsche Männer brauchen keine Aufenthaltsgenehmigung. Deswegen lernt sie die nicht so schnell kennen«, sagt Cem.
    An einem schlecht beleuchteten U-Bahnhof steigen wir aus. Ein schlaksiger, kahl rasierter, blonder Junge sitzt inmitten arabischer Jungs. Er trägt ein Basketballtrikot und schlabbernde Jeans. »Das ist Hamit«, sagt Cem, »er sieht aus wie ein Deutscher, ich sehe aus wie ein Türke, er ist in seinem Herzen ein Türke, ich ein Deutscher.«
    »Komm her, Hamit«, lallt Cem. »Was machst du hier?«, fragt sein Halbbruder, der deutsch aussieht und einen türkischen Akzent hat. Er schaut mich an, »Wer ist das?« »Spielt keine Rolle«, schreit Cem, »komm, wir gehen nach Hause jetzt!« »Ich hab zu tun«, sagt der Junge. »Du dealst«, schreit Cem. »Spinnst du, schrei hier nicht rum, du bist besoffen«, antwortet sein Bruder. Die arabischen Jungs kommen jetzt auf uns zu, »Gibt’s Probleme?«, fragt einer. »Gleich gibt’s hier Probleme, Habibi«, schreit Cem. Er packt seinen Bruder am Genick und flüstert leise, aber deutlich: »Wir treffen uns morgen zuhause und ich schwöre dir, dass wir ein paar neue Regeln aufstellen werden!«
    »Lass ihn los«, sagt der Araber. »Sonst was?«, fragt Cem. Auf der digitalen Anzeigetafel steht, dass die U-Bahn ans andere Ende der Stadt auf dem anderen Gleis in einer Minute abfährt. »Cem«, sage ich, »ich glaube, wir sollten nach Hause fahren«. Cem starrt den Araber aus kleinen Augen an. Er wendet seinen Blick nicht ab. »Vielleicht hast du Recht. Ich weiß ja, was hier gleich passiert. Ich habe keinen Bock mehr auf die Scheiße.«
    Wir steigen in die U-Bahn. Cem dreht sich noch einmal zu der Gruppe um seinen Bruder. »Heute habt ihr

Weitere Kostenlose Bücher