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Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Titel: Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Bauer
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dann nur, um Getränkekisten zu liefern. »Tja, Scheiße«, sagt Cem, »ich bin zwar nur ein halber Türke, aber ich sehe aus wie ein Vollbluttürke. Prost!«
    Die Geschichte von Cems Eltern ähnelt der von Julians Eltern, nur, dass der Vater aus der Türkei stammt, nicht aus dem Iran. Getrennt haben sich die Eltern aber auch sehr bald. »Ging nicht mehr«, sagt Cem, »kann meinen Alten verstehen, meine Mutter ist schwierig.« Cem ging gerade zum zweiten Mal in eine erste Klasse der Blücher-Grundschule, als er mit seiner Mutter aus der großenWohnung in eine kleine Wohnung zog. »Ein Zimmer«, sagt Cem, »mehr war nicht drin, sie hatte nicht nur den Mann verloren, auch den Job.« Cem war acht, da wurde die Mutter wieder schwanger, den »Erzeuger«, sagt er, habe er nie kennen gelernt. »Den kannte wahrscheinlich nicht mal meine Alte richtig.« Sie zogen in eine Zwei-Zimmer-Wohnung. Cems Vater zahlte keinen Unterhalt, »der hat sich rumgetrieben«, sagt Cem, »ein Anatole im wilden Berlin, der wollte auch mal ein bisschen frei sein, kann ich verstehen.«
    Obwohl wir ihn nur ein Schuljahr erlebt haben, erinnern Frau Schach und ich uns an Cem. Cem dagegen weiß so gut wie nichts mehr aus der Grundschulzeit. »Diese Zeit«, sagt er, »ist in meinem Kopf ein einziges Chaos. Ich war wütend. Immer diese Wut!« Er schaffte die erste Klasse im zweiten Anlauf nur mühsam, er kam auf eine andere Schule, »ich glaube, weil meine Mutter den Rektor angebrüllt hat oder weil ich mich mal wieder gekloppt habe.« Cem hängt nur auf dem Spielplatz herum, auf dem die Älteren Zigaretten rauchen. »Mit zwölf habe ich angefangen zu trinken«, sagt er, als wir vor dem dritten Bier sitzen. »Mein Leben müsste man verfilmen«, sagt er, »du wirst das nicht verstehen, du kennst so was nicht, aber ich habe nur Hass erlebt als Kind.« Cem antwortete auf den Hass mit: Hass. Er schrie die Mutter an, er schrie die Lehrer an, er kam durch die Grundschule, aber wohl nur, weil die Lehrer ihn endlich loswerden wollten. Zur Hauptschule geht er nur manchmal, einmal holt ihn die Polizei in der Computerspielabteilung von Karstadt ab, wo er die Vormittage verzockt. »Dann ging es erst richtig los«, sagt Cem. Er klaut CDs bei Karstadt, Bier im Supermarkt, er »zieht ein paar Leute« ab, wie er sagt, bedroht sie, nimmt ihre Jacken, ihre Handys, ihre Schuhe mit. »Ich war ein echter Härtefall«, sagt Cem, »und meine Mutter trank mehr als ich, die hatte auch Angst vor mir! Mein kleiner Bruder kam zu meiner Tante, weil sie ihm nichts mehr kochen konnte.«
    Cem ist vierzehn, als das Jugendamt ihn nach Andalusien schickt. Dort arbeitet das Jugendamt mit deutschen Pflegefamilien zusammen. Cem mag das Meer, das Haus der Pflegefamilie liegt direkt am Strand. Aber er geht auch in Spanien nicht zur Schule. Den Pflegevater nennt er eine »Homo-Sau«. Er darf trotzdem in der Sonne bleiben, kommt aber in eine neue Pflegefamilie. »Ein Hippie-Pärchen«, sagt Cem, aus Heidelberg. »Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich nur Alkohol getrunken, Mixgetränke, Bier, leichtes Zeug.« Der neue Pflegevater findet, Alkohol sei nichts für Cem. Er zeigt ihm dafür die großen Hanfpflanzen auf der Dachterrasse. Cem beginnt zu kiffen. Der Pflegevater hat genug zu rauchen, Cem bekommt jeden Tag eine Ration. »Ich war drei Monate nur breit, dann bin ich abgehauen, ich hatte Heimweh nach den Jungs in Berlin, nach der Stadt!« In Malaga lässt ihn der LKW-Fahrer raus, Cem ruft seinen Vater an, den er seit fünf Jahren nicht gesprochen hat. Das Jugendamt zahlt den Flug zurück. Cem wird verpflichtet, in Berlin wieder zur Schule zu gehen. Zur Mutter will er nicht mehr. Er zieht zum Vater, wieder in eine Ein-Zimmer-Wohnung. »Zwei Männer mit schlechten Gedanken auf engstem Raum«, sagt Cem, »das ging nicht gut.«
    Natürlich geht er nicht zur Schule, natürlich trifft er die Jungs auf der Straße, natürlich kifft er, natürlich probiert er jetzt auch mal die härteren Sachen. Seinen achtzehnten Geburtstag feiert Cem in einem Kreuzberger Club. Er trinkt zehn Wodka Lemon, Bier, raucht was, wirft eine Pille ein. Der Abend hat in seinem Kopf nie stattgefunden. Seine Erinnerung setzt erst dann ein, als dieser Junge, ein Pole, blutüberströmt auf dem Bordstein liegt. Der Pole hatte Cem einen »Scheißtürken« genannt, Cem rammte ihm sein Knie ins Gesicht, schlug auf ihn ein, trat auf ihn ein, als der Junge bereits am Boden lag. »Überreaktion«, sagt Cem. Er hat Glück, der Junge auch.

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