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Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Titel: Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Bauer
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schlappt voraus, ich habe nicht verstanden, wohin wir gehen. Sven, dieselbe Statur wie damals, mit einer noch dickeren Brille auf der Nase und einem buschigen Bart im Gesicht, kriegt seine Zähne nach wie vor nicht weit auseinander. »So«, schnauft er, als wir vor einem Imbiss in der hintersten Ecke der Markthalle stehen. »Dit«, sagt Sven, »ist dit Einzige, was von meiner alten Markthalle geblieben ist. Sonst gibt’s ja nur noch Bio. Sonst kostet ja alles doppelt so viel. Nur hier kriegste noch ne Currywurst für zwo Mark fuffzig wie immer, oder ein Euro zwanzig halt. Und ein rischtiges Bier.« Eine fast zahnlose Frau steht vor einer sprudelnden Friteuse und schreit: »Sven, mein Juter, wie immer?« »Jenau«, schnauft Sven, »für meine Begleitung hier dit selbe!« Die Frau mustert mich. »Hast wohl neue Freunde, Sven!« »Der ist in Ordnung«, schnauft Sven, »glaube ick zumindest!« Die zahnlose Frau knallt zwei bauchige Flaschen Schultheiß auf die Theke. Schultheiß ist die Berliner Interpretation von Bier. »Ick war letztens hier um die Ecke in ner Kneipe«, sagt Sven, »da jibt mir der Kellner allen Ernstes ein Münchner Bier, ick hätte dem fast eine gelangt. Bayerisches Bier in Berlin! Wozu? Da gehe ick nicht mehr hin! Prost!«
    »Sag mal Sven«, schreit die zahnlose Frau, die wohl denkt, ich spräche nicht ihre Sprache, »verträgt deine Begleitung die Spezial-Currywurst?« »Ick hoffe doch«, schnauft Sven, »pack alles ruff!« Die Frau zerschneidet die Wurst »ohne Darm«, schüttet die Scheibchen in eine Pappschale, gießt Ketchup darüber und garniert den fleischigen Haufen mit Chili-Kernen aus einer Plastikschüssel, auf die mit einem schwarzen Edding ein großes Ausrufezeichen gemalt ist. »Dit ist die schärfste Currywurst der Welt«, schnauft Sven nicht ohne Stolz, »so muss dit sein, knallen muss die! Wie immer!« »Wie immer« ist der Anker in Svens Sätzen, »wie immer« ist der Normalzustand und der Normalzustand ist hier bedroht. Die zwei fahlen Trinker neben uns klammern sich an die Theke wie an die Planke eines längst versunkenen Schiffes. »Berta«, schnauft Sven, »dit Schulti ist leer! Ein leeres Bier ist ein schlechtes Bier, dit weißte doch!« Berta knallt noch ein Schultheiß auf die Theke. Ich muss mich ranhalten, Sven mag ein gemächlicher Mann sein, aber hier bei Berta ist er auf Zack, also, los, dann noch ein Schultheiß, noch ne Pulle, na wunderbar, wat solls! »Ick nehm dit selbe auch noch mal«, sage ich, denn ich wohne lange genug in dieser Stadt, um zu wissen, wie man sich hier unterhält, ick bitte dich, also wirklich, ick bin hier doch nicht der Bio-Zugezogene. Prompt wird Berta zutraulicher, sie zwinkert mir zu, das ist doch ein Anfang. »Juten Zug hat dein Freundchen, Sven«, schreit sie, »wie heißt er denn?« »Patrick heißt er«, sage ich schnell, damit ich mal für mich selbst sprechen kann und Berta lehnt sich rüber zu mir: »Grüß dich, Patrick, habe dich hier noch nie jesehen, aber Svens Freunde sind meine Gäste, auch wenn sie so aussehen wie ein Student!« Berta wendet sich den zwei fahlen Trinkern auf den Barhockern zu. »Na, Rainer«, schreit sie, »haste noch genug für ein Schulti dabei?« Rainer schüttelt seinen schweren Kopf. »Ick schreibs auf, mein lieber Raini«, schreit Berta und knallt Raini ein Schulti hin. Zack, zack.
    »Hier kommen alle hin«, schnauft Sven, »die sonst keinen Platz mehr in der Halle haben. Früher war dit unsere Halle, da gabs den Obststand aus Brandenburg, den hat ein alter Kumpel meines Vaters betrieben. Es gab Sülzwurst und Buletten und Döner und einen Kiosk und Bertas Currybude. Mit meinem Vater war ick jeden Sonntag bei Berta. Und auch mal montags und dienstags. Jeder kannte jeden. Die ganzen Schwaben hier kenne ick heute nicht mehr«, sagt Sven. »Ick meine, dit is doch verrückt mit dem Bio. Letztens war ick im Supermarkt, so ein kleiner Knirps hat für den Vater Milch holen sollen. Der Kleine kam mit ner Tüte angelaufen, da sagt der Alte: Nee, das ist keine Bio-Milch. Geh zurück und hol die Bio-Milch! Stell dir das mal vor!« Sven guckt mich an, als erwarte er Empörung, als hätte er mir gerade erzählt, der Vater habe von seinem Sohn verlangt, ihm Pornohefte zu bringen. »Dit ist doch ne Bio-Gehirnwäsche«, sagt Sven, er schnauft langsam und ruhig, auch wenn er wütend ist. »So was wie Bertas Currybude, so was stirbt aus«, sagt Sven. Er klingt jetzt wie Clint Eastwood in »Gran Torino«, Eastwoods letztem,

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