Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
großem Film, in dem er einen verbitterten Alten inmitten seiner verwahrlosenden Nachbarschaft spielt, inmitten einer Welt, die ihn überholt. Der Alte fährt einen 1972er Ford Grand Torino Sport und schimpft: »Solche Autos werden heute gar nicht mehr gebaut!« Sven sagt: »Solche Currywurst kriegst du heute nicht mehr.« Sven ist alt geworden, älter, als er alt ist. Sven strahlt Resignation aus. Wie es ihm geht? »Na ja, normal, es muss halt weitergehen! Wat soll ick sagen. Türken und Bio, dit is bald alles, was es hier noch gibt.« Sven ist umzingelt von Türken und Bio. Er spricht Sätze wie diesen: »Wat soll man machen, die da oben werden uns kleinen Leuten nicht helfen« oder »Ick will ja gar nicht viel, nur nen Ort, wo ick mein Bier trinken kann und wo die mich in Frieden lassen« und man kann es Sven nicht verdenken, dass er klagt wie die fahlen Trinker an Bertas Theke, denn Sven hat in seinem jungen Leben zwei Lektionen erteilt bekommen: dass er an dieser Welt nichts ändern kann. Und dass niemand ihn braucht. »Die« haben ihm nie geholfen.
Sven trägt grüne Arbeitskleidung, Erde klebt an seiner Hose. Er arbeitet seit zwei Jahren in einem Park im Prenzlauer Berg, wo die Bio-Eltern in der Sonne liegen. Sven steckt in einer »Maßnahme« der Arbeitsagentur. Er, zwei Alte, zwei Frauen und zwei Araber laufen jeden Tag durch den Park, entsorgen Müll, kehren Laub zusammen, schneiden Äste ab. »Gute Arbeit, ick bin draußen. Ick bin gerne draußen«, sagt Sven, der jeden Tag die zehn Kilometer in das neue Berlin mit dem Fahrrad fährt. »Ick fahre gerne Fahrrad«, sagt Sven, »dit is mein Hobby. Wenn ick frei habe, fahre ick einfach los. Einfach geradeaus. Einmal bin ick fast fünfzig Kilometer an einem Tag gefahren. Man sieht mir dit nicht an, aber ick bin fit.« Manchmal nimmt Sven auch den alten Fußball aus dem Schrank und läuft auf den Bolzplatz nebenan. Der Bolzplatz ist meist leer. Dann drischt Sven, der nie ein talentierter Fußballer war, den schlaffen Ball ein paarmal gegen den Zaun. »Ick kicke gerne«, sagt Sven. Wenn schon jemand auf dem Platz spielt, guckt Sven eine Weile zu und wenn er nicht gefragt wird, ob er mitspielen will, was nie passiert, geht er wieder nach Hause. Es ist ein trauriges Bild: Sven, wie er alleine Fußball spielt. Sven, der schon in der Pause alleine Ball spielen musste. »Ach, ick brauch nich viele Leute um mich rum«, sagt Sven, »ick komm gut alleine klar.« Es blieb ihm nie etwas anders übrig.
Diesen Herbst endet Svens Anstellung im Park, er dürfte eigentlich längst nicht mehr dabei sein, so eine Maßnahme, die in die Berufstätigkeit führen soll, aber in Wahrheit eine temporäre Beschäftigungstherapie ist, dauert normalerweise nur ein Jahr. Sven hatte Glück, dass seine verlängert wurde. Es ist ihm egal, dass er nicht mal 400 Euro im Monat verdient, er will raus, jeden Tag, er will ein Ziel haben, wenn er mit dem klapprigen Mountainbike losfährt, er will nicht zuhause sitzen, zwischen den vielen Videokassetten, die er gerade mühsam auf DVD überspielt, die vielen Asterix- und Police-Academy-Filme, die er in den letzten zwanzig Jahren aufgezeichnet hat, wenn sie im Fernsehen liefen.
»Im Amt haben die gesagt, jetzt ist jemand anderes dran«, sagt Sven. Die wollen, dass jeder mal das Gefühl bekommt, wieder in der Arbeitswelt angekommen zu sein. Von Svens Maßnahme profitiert vor allem das private Unternehmen, das für die Instandhaltung des Parks zuständig ist und vom Amt billige Arbeitskräfte geschickt bekommt. Dass Sven sich von der Maßnahme mehr erhofft hat, interessiert niemanden. Sven ist ausgebildeter Landschaftsgärtner, aber davon gibt es viele, wer heutzutage nichts wird, wird von der Arbeitsagentur zum Landschaftsgärtner, Mediengestalter oder Fitnessstudiomitarbeiter geschult. Einer der beiden Alten aus Svens Truppe ist der Vorarbeiter, weil er am längsten dabei ist. Der Alte ist langsam, sagt Sven, unmotiviert. Einmal hat der Alte zu Sven, dem man nun wirklich nicht vorwerfen kann, ein Hektiker zu sein, gesagt, er solle mal langsam machen, er sei hier auf Arbeit und nicht auf der Flucht. Das hat Sven geärgert. Warum wird er dafür gerügt, schnell und gut und gerne zu arbeiten? Also ist er zum Chef gegangen, »so nem Lackmeier«. Sven hat gesagt, er arbeite gerne schnell und wolle vom Vorarbeiter nicht aufgehalten werden. Vielleicht wäre ja Sven der bessere Vorarbeiter. Aber der Chef hat nur gesagt, Sven brauche nicht denken, er könne
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