Die Party Queen von Manhattan - Roman
wusste, wovon ich redete, hatte sämtliche Zahlen
und Fakten parat. Und die waren beeindruckend. Mit den zweitausend Titeln, die jährlich neu auf den Markt kommen, fährt die Branche einen Umsatz von anderthalb Milliarden Dollar ein. Zwei Fünftel aller amerikanischen Frauen kaufen mindestens einen Liebesroman im Jahr. Mehr als ein Drittel aller belletristischen Neuerscheinungen sind Liebesromane. Erst vor kurzem hatte eine Shakespeare-Forscherin (und Professorin an der Columbia University) gestanden, ein Dutzend solcher »Nackenbeißer und Schmonzetten« verfasst zu haben. Warum sollte ich mich also schämen?
Was ich damals meinen Eltern und an diesem Abend auch Will und Simon verschwieg, war die Tatsache, wie sehr ich diese Romane liebte. Natürlich war es zum Teil auch eine Flucht vor dem Alltag, aber so schlimm, dass ich mein Heil in einer Fantasiewelt hätte suchen müssen, war die Welt andererseits auch wieder nicht. Ich empfand es einfach als inspirierend, vom Schicksal zweier bildschöner Menschen zu lesen, die alle Hindernisse überwanden und einander so sehr liebten, dass sie schließlich ihr Glück fanden. Natürlich waren die Sexszenen auch nicht zu verachten, doch am besten gefiel es mir, dass die Romane immer gut ausgingen. Sie verbreiteten eine derart optimistische Stimmung, dass ich mich sofort auf den nächsten stürzte. Sie waren unterhaltsam und so verlässlich wie ein guter alter Freund, aber vor allem erzählten sie von Liebesbeziehungen, wie ich sie mir - Feminismus, politische Korrektheit und Gleichberechtigung hin oder her - mehr als alles andere erträumte. Ich verglich alle Einzelheiten meines eigenen Lebens mit dem großen Ideal. Ich konnte nicht anders. Ich wollte eine Liebe wie aus dem Märchenbuch. Womit natürlich meine Beziehung zu Cameron - und die meisten anderen Beziehungen zwischen Männern und Frauen im New York von heute - nicht mithalten konnte. Trotzdem gab ich die Hoffnung nicht auf - noch nicht.
Und diese Gefühle sollte ich vor Simon ausbreiten? Besser
nicht. Deshalb nahm ich mich lieber selbst auf die Schippe, wenn mich jemand fragte, warum ich solche Bücher las.
»Ach«, lachte ich, ohne Will oder Simon in die Augen zu sehen. »Es ist bloß eine kleine Jugendsünde, die ich noch nicht ganz abgelegt habe.«
Diese Antwort fand Will besonders komisch. »Eine kleine Jugendsünde? Und dann gehörst du zu einem Buchclub, der nur das eine Ziel verfolgt, dein Lieblingsgenre zu ergründen und zu würdigen?«
Da hatte er Recht. Bis ich den Buchclub fand, war ich mit meinem Hang zum Trivialen überall nur auf Unverständnis gestoßen. Sowohl in der Familie als auch bei meinen Freundinnen auf der Highschool oder am College. Penelope schüttelte bloß den Kopf, wenn sie irgendwo in meiner Wohnung einen Liebesschinken entdeckte (was kein Kunststück war, weil sie überall herumlagen). Ich besaß vierhundert Stück davon, verstaut in Kisten, Schränken und Unterbettkommoden. Das eine oder andere stand sogar im Bücherregal, wenn das Titelbild nicht allzu peinlich war. Obwohl mir längst klar war, dass außer mir noch Millionen anderer Frauen solche Bücher lasen, hatte ich erst vor zwei Jahren in einer Buchhandlung eine Gleichgesinnte kennen gelernt. Ich kam gerade aus dem Büro und wollte mir für den Feierabend einen deftigen Schmöker aussuchen, als mich jemand von hinten ansprach.
»Sie sind nicht allein«, sagte eine weibliche Stimme.
Ich drehte mich um. Vor mir stand eine junge Frau mit einem herzförmigen Gesicht und ungeschminkten rosigen Lippen. Sie war etwa genauso alt wie ich und sah aus wie ein Porzellanpüppchen, so zart gebaut, dass man Angst hatte, sie könnte jeden Augenblick zerbrechen.
»Wie bitte? Meinen Sie mich?« Blitzschnell versteckte ich Fantasien der Frauen unter einem dicken Englisch-Griechisch-Lexikon.
Sie nickte und kam einen Schritt näher. »Ich wollte Ihnen
nur sagen, Sie brauchen sich nicht zu schämen. Sie sind nicht allein«, flüsterte sie.
»Wer sagt denn, dass ich mich schäme?«, fragte ich.
Sie warf einen Blick auf den Roman, der noch halb unter dem Wörterbuchwälzer hervorlugte, und zog die Augenbraue hoch.
»Nur, dass Sie es wissen: Ich bin diesen Büchern ebenfalls verfallen. Ich heiße Courtney. Ich habe studiert, bin voll berufstätig und scheue mich nicht davor, mich zu meiner Sucht zu bekennen. Wir sind stark, wir sind viele. Wir treffen uns zweimal im Monat, trinken gemütlich was, quatschen über die Bücher und versichern
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