Die Patchwork-Luege
große Potential des deutschen Markts entdeckt hat.»Unsere Kinder treffen auf eine sich immer schneller verändernde Welt. (…) Bei FasTracKids werden verschiedene Lehrmethoden mit neuester interaktiver Technologie optimal kombiniert, um die Schlüsselfähigkeiten wie Kommunikation, Kreativität, kritisches Denken und Teamarbeit zu fördern.«
Wir haben die Kindheit abgeschafft. »Wenn wir denn schon ein Kind haben«, sagte Remo H. Largo in einem Interview, »dann soll es auch ein Erfolg werden«. Ist es kein Erfolg, besteht die Möglichkeit, das, was es tut, zu einem umzudeuten und freches Verhalten als Ausdruck seiner Hochbegabung zu interpretieren. Eine Lehrerin erzählt, wie sie eines Morgens das Klassenzimmer betrat und ein Schüler mit seinem Stuhl auf ihrem Pult saß. Er guckte sie herausfordernd an, während die Klasse lachte. Die Lehrerin beendete das Schauspiel. Sie bat die Mutter des Schülers in die Sprechstunde. Von der Ungezogenheit ihresSohnes wollte die Mutter nichts wissen und brachte seine Kreativität ins Spiel, die er auch zu Hause auslebe. Vielleicht habe die Lehrerin das Talent ihres Sohnes bislang verkannt, nun wollte er es ihr buchstäblich vor Augen führen. Die Lehrerin sagt, dass es noch gar nicht so lange her sei, dass das Wort eines Lehrers etwas galt. Die Eltern akzeptierten das Gesagte und zweifelten seinen Wahrheitsgehalt erst einmal nicht an. Sie gingen nach Hause, sie sprachen mit ihrem Kind und zogen Konsequenzen. Seit einiger Zeit reagieren immer mehr Eltern aggressiv, sobald Lehrer ihr Kind kritisieren, und nehmen es in Schutz. Diese Eltern seien nicht weniger anstrengend als ihre Kinder. Sie stammen, sagt die Lehrerin, ausschließlich aus der gehobenen Mittelschicht.
In einer Fernsehwerbung wird eine gutaussehende, gutgelaunte Frau von einer anderen Frau schnippisch gefragt, was sie beruflich mache. »Ich leite ein erfolgreiches kleines Familienunternehmen«, antwortet sie ihr. In der nächsten Szene saugt sie Staub. Ihre Kinder hat sie stets im Blick, damit ihnen nichts zustößt. Diese Szene sieht spielerisch aus und nach Erfolg. Die Managerin des Kleinunternehmens hat alles richtig gemacht.
Kinder haben in unserer Gesellschaft Seltenheitswert, das macht sie zu einem kostbaren Gut. Gegenüber Minderheiten verhält sich das soziale Umfeld nie gleichgültig, sie werden entweder benachteiligt oder verwöhnt. Gefährlich ist beides. »Heute wird schon deutlich, dass ein erheblicher Herd der Unruhe innerhalb der Gesellschaft zwischen Kinderlosen und Eltern schwelen wird; es wirdzu Solidarisierungen der einen Fraktion gegen die andere kommen, die Fraktion der Ernährer gegen die Fraktion der Egoisten«, schreibt Frank Schirrmacher in seinem Bestseller Das Methusalem-Komplott . Die Schlacht werde besonders dort schmerzhaft sein, wo Alternde, die weder Kinder noch Eltern haben, sich gegen solche behaupten müssen, die sich in die Festung familiärer Strukturen zurückziehen können.
Die deutsche Öffentlichkeit ist für ihre Kinder- und Jugendliebe nicht gerade bekannt. Beweise dafür findet man überall, zum Beispiel im Bundes-Immissionsschutzgesetz: »Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung.«
Im Familienverband erleben Kinder das Gegenteil. Dort sind sie die Größten.
Kinder sind längst Statussymbole. Je wohlgeratener, talentierter, niedlicher sie sind, desto besser kann man sie vorführen. Jede Stadt bietet dafür den geeigneten Ort. In Frankfurt ist dieser Ort das Westend-Café »Siesmayer«. Zum Sonntagsfrühstück treffen sich dort Familien der Mittelschicht, die meist in der Gegend wohnen. Die Frauen tragen Bluse zur Jeans und Perlenohrringe, die Männer Hemd zur Jeans, und auf dem Arm ihr Kind, was bei den meisten wirkt, als wären sie ziemlich ungeübt darin. Die Kinder sehen aus, als seien sie zu einer Taufe oder Hochzeit eingeladen.
Die bürgerliche Mittelschicht schottet sich ab. Sie beobachtet sehr genau, mit welchen Kindern sich ihre Kinder anfreunden, und agiert auch als Kuppler, um den Nachwuchs vor Fehlgriffen zu schützen. Schmuddelkinder aus Migranten- oder sozial schwachen Familien stehen nicht auf den Einladungslisten.
Als Hamburgs schwarz-grüner Senat vor zwei Jahren eine große Bildungsreform ankündigte und die sechsjährige Primarschule einführen wollte,
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