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Die Patchwork-Luege

Titel: Die Patchwork-Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Muehl
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weiterenZunahme um mehr als fünfzig Prozent zu rechen.« Bei der Behandlung steht meistens die Persönlichkeit des Kindes im Fokus, doch dieser eindimensionale Blick ist heikel. Die unzähligen ADHS-Studien richten ihr Hauptaugenmerk auf die medikamentöse Behandlung, als bräuchte es nur die passende Pille in der passenden Dosierung und die aus den Fugen geratene Welt werde wieder stabil. »Fehlen wir uns selbst, so fehlt uns doch alles«, heißt es in Goethes Werther . Das soziale Umfeld, Familie, Freunde, Beziehungen, sind belanglos. Psychische Störungen haben vielfältige Ursachen, die Instabilität von Familien und das Zerbrechen sozialer Netzwerke sind mit Sicherheit besonders schwerwiegend. Daraus resultiert das Gefühl der Verlorenheit, und dieses Gefühl setzt dem Selbstwerterleben massiv zu.
    Währenddessen flüchten wir uns in Entlastungserklärungen. Für unsere Kinder haben wir doch alles Erdenkliche getan: Geld investiert. Sie gefördert. Mit drei Jahren zum Englischkurs angemeldet, mit fünf zum Chinesischkurs. Jeden Entwicklungsschritt kritisch beäugt. Unzählige Ratgeber gelesen. Ihnen einen Fahrradhelm aufgesetzt. Sie ins Ausland geschickt und partnerschaftlich behandelt. Nie über den Exmann/die Exfrau gelästert. Wir haben sie durchs Land reisen lassen und ihnen quality time geschenkt. Wir haben das Scheitern wegorganisiert und mit enormem Aufwand eine Infrastruktur des guten Gewissens gebastelt. Einen beträchtlichen Teil der Verantwortung tragen jetzt Institutionen, weil uns zu viel davon unnötig belasten würde. Das Gleichgewicht im Leben unsererKinder meinen wir durch unsere Förderungswut wiederhergestellt zu haben. Die Defizite auf der familiären Seite sind damit für uns ausgeglichen. Aber diese Rechnung geht nicht auf.
    Am Ende haben wir uns selbst betrogen.
    Die Stellung der Familie im Grundgesetz ist herausragend. Sie steht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. »Das Grundgesetz kennt neben diesem Auftrag nur eine weitere ausdrückliche Schutzpflicht, den Schutz der Menschenwürde«, schreibt Gregor Kirchhof in einem Beitrag für die Quandt-Stiftung. Der Staat müsse auch den Frieden sichern, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie die Freiheit der Bürger schützen. »Der Schutzakkord Menschenwürde, Frieden, Leben, Körper und Freiheit sowie Familie (…) entfaltet seinen Klang nicht, weil der Grundton, der Ton der Familien, nicht trägt. Familien werden bei der Pflegeversicherung und der Rentenversicherung benachteiligt. Die Erziehungsleistungen der Eltern werden bei der Beitragserrechnung nicht berücksichtigt, obwohl gerade diese Leistungen die Systeme erhalten.« Der Staat schöpfe fast drei Viertel seiner Finanzkraft aus Sozialversicherungsbeiträgen und indirekten Steuern, das heißt, er belaste vor allem die Familie. Kirchhof wirft dem Staat Verfassungsbruch vor: »Familien, die den Finanzstaat maßgeblich tragen und dem Gemeinwesen seine Zukunft geben, werden vom Staat benachteiligt (…). Familien sind gem. Artikel 6 Absatz 1 GG zu schützen, nicht zu benachteiligen.« Er warnt vor einem Verkümmern der Familie, denn der Raum derKinder und damit der Zukunft, der erste Ort der Erziehung, der Entwicklung der Persönlichkeit, ohne die es keine Freiheit gebe, werde immer enger. Anstatt arbeits-, sozial- und steuerrechtliche Bedingungen zu schaffen, in denen sich viele den Kinderwunsch nicht mehr erfüllen wollen oder können, muss der Staat genau für das Gegenteil sorgen: dass sich Familien entfalten können.
    Die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen war von 2005 bis 2009 Familienministerin und damit für ein Ressort verantwortlich, das für Gerhard Schröder bloßes »Gedöns« war.
    Man könnte erwarten, dass es auf diesem Posten zuallererst darum geht, im Sinne der Familie zu handeln. Ursula von der Leyen ging es oft zuerst darum, ihre eigene Person und ihr Familienmodell medial ins bestmögliche Licht zu rücken. Die Frau, die sieben Kinder großgezogen hat, reitet Dressur, joggt, ernährt sich gesund, musiziert und tritt patent und beschwingt auf. Ihr Vater nannte sie früher Röschen. Sie führte, gegen den Widerstand der Konservativen in ihrer Partei, das Elterngeld ein und schaffte das Erziehungsgeld ab. Das Elterngeld ist eine Art Lohnersatz, es orientiert sich an der Gehaltshöhe und soll gutverdienenden Akademikern die Angst vor finanziellen Verlusten durch ein Kind nehmen und gleichzeitig Anreize setzen, frühzeitig an den

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