Die Patchwork-Luege
die sie am dringendsten benötigen, kaum. Bis zum 18. Lebensjahr summieren sich die öffentlichen Ausgaben für Ausbildung und Familienpolitik auf 146 000 Euro. Der OECD-Schnitt liegt bei etwa 124 000. Warum zum Beispiel leben trotzdem etwa 10 Prozent der Kinder in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze? Weshalb haben auch Familien einen Anspruch auf Kindergeld, die 230 000 Euro Jahresgehaltverdienen? Das Ehegattensplitting: Es begünstigt das Verheiratetsein, nicht das Kinderhaben – und es begünstigt Paare, bei denen einer arbeitet, der andere nicht, was die wenigsten wollen und sich die meisten gar nicht leisten können. Über ein Drittel der Splitting-Vorteile freuen sich ohnehin kinderlose Ehepaare und solche, deren Kinder bereits ausgezogen sind und arbeiten. »Im Interesse der Kinder müssten wir junge Eltern stärker fördern als alte, aber das Splitting wirkt eher in die andere Richtung«, sagte der Familiensoziologe Hans Bertram.
Aber vertritt die Familienpolitik überhaupt die Interessen der Kinder? Liest man den »7. Familienbericht«, glaubt man das Gegenteil. Er plädiert für eine Entdramatisierung der Scheidung (»zukunftsorientiert«). Eine Scheidung bedeutet nicht das Ende der Familie, sie bedeutet nur, dass die Familie tiefgreifend reorganisiert werde. »Aus der Kernfamilie entwickelt sich ein ›binukleares Familiensystem‹. Beide Eltern teilten sich ihre Verantwortlichkeit und in gewissem Umfang ihre Aufgaben. »Kritische Lebensereignisse bringen (…) Veränderungen auf verschiedenen strukturellen Ebenen der Familie mit sich und wirken sich nicht nur negativ auf die Einzelperson und das System der Familie aus, sondern sie beinhalten gleichzeitig die Chance, Beziehungen und die Lebenssituation neu und oftmals für alle Beteiligten befriedigender zu organisieren.« Der Bericht vermerkt zwar, dass Kinder eine Scheidung nicht unversehrt überstehen, aber das ist ein Randaspekt. Tatsächlich verharmlost der Familienbericht das Zerbrechen der Familie. Das ist ganz im Sinne Ulla Schmidts(2001 bis 2009), die während einer Wahlkampfveranstaltung sagte: »Familie ist, wenn alle aus demselben Kühlschrank essen.«
Im Zusammenhang mit dem »8. Familienbericht« liest man auf der Seite des Familienministeriums folgende Sätze der Ministerin Kristina Schröder: »Zeit ist die Leitwährung moderner Gesellschaftspolitik. Eltern brauchen Zeit, um ihre Kinder ins Leben zu begleiten, und sie brauchen Zeit, wenn Angehörige Unterstützung benötigen oder pflegebedürftig werden. Aus dem Ravensburger Elternsurvey 2010 wissen wir: Der Wunsch nach mehr Zeit für Familie rangiert weit vor dem Wunsch nach mehr Geld oder nach besserer Kinderbetreuung. Ob Familien zusammenhalten, ob Eltern und Kinder füreinander da sein können, ist in erster Linie eine Frage der Zeit.«
Das klingt vernünftig. Es klingt aber auch nach einer völlig anderen Welt, jedenfalls solange man unter Eltern Mutter und Vater versteht. Bisher üben sich die Mütter in Entsagung. »Sie verzichten«, schreibt Iris Radisch, die sich in ihrem lesenswerten Buch Die Schule der Frauen für Familienzeit stark macht, »in überwältigender Mehrzahl zumindest auf die Hälfte ihrer Arbeitsstelle, auf die Hälfte ihrer Rentenansprüche, auf die Hälfte ihrer beruflichen Entwicklung. Und ganz nebenbei auch noch auf die Hälfte ihres Gehaltes.« Sie haben keine Lobby.
Viele Frauen, sagte Richard Oetker einmal in einem Interview, wollten, wenn sie nach der Kinderpause zurückkehrten, in der Regel halbtags arbeiten. »Und wenn das so ist, ist die große Karriere einfach nicht möglich.« So seidas nun mal. Auf die Idee, dass Frauen, sobald die Kinder zur Schule gehen, möglicherweise noch Karriere machen wollen, kommt der geschäftsführende Gesellschafter von Oetker nicht. Als sei man mit vierzig, fünfundvierzig oder fünfzig zu alt für Erfolg.
Richard Oetker ist keine Ausnahme. Seine Aussage zeigt, wie zementiert der Zusammenhang von Arbeitszeitmustern und Karriereaussichten ist. Dieser Glaubenssatz ist kein Zukunftsmodell, er führt zurück in die Vergangenheit. Die Wirtschaft wird auf die besser ausgebildeten Frauen nicht verzichten und sie weiterhin in den Zwangsstillstand abschieben können, das steht fest.
Wie keine Gesellschaft vorher ist unsere auf die Idee der Paarbindung fixiert. Wir wollen nicht dauerhaft allein leben oder in einer Kommune, auch das Zölibat stellt keine ernstzunehmende Alternative dar. Die Zweisamkeit empfinden
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