Die Patin
angewinkelten Unterarmen und senkrechter Parallele der Hände, die nun einmal nach rechts, einmal nach links wandern, zu dem verharmlosenden Statement: Wir tragen unseren Teil bei (Schwenk nach rechts), und Griechenland trägt seinen Teil bei (Schwenk nach links).
Wen solche Beweisführung nicht zufriedenstellt, dem ist nicht zu helfen. Regelmäßig haben Merkels Schlusskommuniqués entwarnenden Charakter. Die erwünschte Folge: Ruhe für die nächste Etappe. Die Kanzlerin «holt die Themen runter», weil einfache Formeln nie so falsch werden können wie komplizierte. Weil sie entdramatisiert, vergessen die Beobachter immer wieder, ihre Kernfrage an die Kanzlerin des Wandels zu stellen: Ist sie die Erste, die sich dem Wind des Wandels anvertraut, oder ist sie die Windmaschine? Treibt sie den Wandel, oder treibt er sie? Ist sie die Revolution oder deren Werkzeug? Warum lässt sie so viele Antworten offen? Die Antwort der Physikerin müsste wohl sein: Um nicht falsifiziert zu werden. Wahrscheinlicher ist aber, dasssie selbst die meisten Antworten für morgen noch nicht kennt. First things first wäre ihr Motto, wenn sie nicht in der Schweigespirale unterwegs wäre. Eins nach dem andern, könnte ihre schlichtere Variante lauten. Was ich morgen zu den Dingen sage, kann ich heute noch nicht wissen, das ist Angela Merkels Pendant zu Adenauers Satz: «Was geht mich mein Geschwätz von gestern an?» Merkel hat schon gestern geschwiegen, also braucht sie keine ironische Distanz zu der, die sie gestern war.
Ein weiterer Refrain, der zum Verweigern von Erklärungen taugt, ist Merkels Vokabel «alternativlos». Was sie vor allem mit dieser Formel anstrebt, ist ein Fragenstopp. Jeder Gegenvorschlag ist sinnlos, sagt dieser lapidare Wortklotz, Schluss der Debatte, ihr werdet mich für keine andere Lösung gewinnen, funkt die Kanzlerin. Ich bin es gar nicht, die euch die Alternativen wegnimmt, sagt sie damit auch. Es gibt sie einfach nicht. Ihr müsst euch beugen wie ich, und keiner von uns kann an der Sache drehen: Es gibt keine Alternative.
Natürlich nimmt die Community der Mitverantwortlichen wahr, dass «alternativlose» Lagen von der Führung nur sehr selten in Anspruch genommen werden können – eigentlich. Merkel hat diesen Baustein zum Nachfragestopp relativ häufig in den Krisendiskurs geworfen – und dabei erstaunlich viel Toleranz erfahren. Wenn es keinen andern als den verordneten Weg gibt, steigt normalerweise der Erklärungsbedarf. «Ich will euch erklären, warum es keinen andern Weg gibt», muss die Führung sagen, um das Vertrauen ihrer Leute am Leben zu halten.
Merkels Abschlussformel «alternativlos» hat eine Kommando-Komponente, die auf eine weitere Spur führt: Das Schweigen der Kanzlerin als autoritäre Geste wird in Deutschland erstaunlich duldsam aufgenommen. Nahe am Schweigen lagern solche Formeln wie «alternativlos», weil sie ja ebenfalls eine Auskunftsverweigerung darstellen. Als Kanzlerin ohne Alternative hat Merkel es erreicht, dass der hohe Geheimnisgehalt ihrer Stellungnahmen von den Bürgern als Entlastung von Mitverantwortung erlebt wird. Nur einige hellwache Beobachter rufen hier: Vorsicht, mehr Schweigen bedeutet mehr Macht.
Die Aussteigerin
Die meisten Westdeutschen denken Merkel immer noch als Zusteigerin im westlichen Politiksystem. Merkels Geheimnis ist aus dieser Perspektive ein Hintergrundsthema, eine Vergangenheits- und Herkunftsstory. Die wenigsten kommen auf die viel ergiebigere Idee, dass «Merkels Geheimnis» ihr Zukunftsentwurf ist. Was sie von gestern verschweigt, ist ja längst nicht so interessant für Deutschlands Zukunft wie ihr Projekt Deutschland für morgen, das niemand zuverlässig kennt. Kanzlerin, wohin führst du uns, fragt niemand – obwohl es die wichtigste Frage an Führung ist, um deren Beantwortung sich niemand drücken kann. Mit der falschen Interessenrichtung der kommentierenden Medien fängt es an. Merkel als Zusteigerin zu sehen, heißt, die wichtigere Frage aufzuschieben, dass sie eine Aussteigerin ist. Vielleicht ist sie auch im System Deutschland längst mit einem Ausstieg beschäftigt, während ihr alle sozusagen den Rücken zuwenden, weil sie auf die Verlustbilanz ihres eigenen Wertbesitzes starren.
Angela Merkel ist die erfolgreichste Aussteigerin der DDR. Lothar de Maizière und Rainer Eppelmann haben das wahrgenommen und nicht ohne Bitterkeit kommentiert. Angela Merkel begann erst da mitzuspielen, wo es für sie lohnend wurde. Reibungsverluste
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