Die Patin
Parteilabel, schnell wachsen?
Schon vor der angeblichen Wunschkoalition mit der FDP gab es nur verschwimmende Grenzen zu jener SPD, die vom Wahlabend an wieder als politischer Gegner verstanden werden sollte. Das TV-Duell zwischen Merkel und Steinmeier geriet eher zum Duo, und die Kanzlerin nahm gezielt das Risiko in Kauf, die klassische Wählermehrheit der CDU zu brüskieren. Ihr Satz «Ich bin keine Konservative» hatte eher gedachte Mehrheiten von morgen und übermorgen zum Adressaten als die aktuell unverzichtbaren aus der eigenen Partei.
War die CDU jemals ihre eigene Partei gewesen? Schließlich hatte ihre Testfahrt durch CDU-Gelände der aufstrebenden Vorsitzenden schon Jahre zuvor die Erkenntnis gebracht, dass die CDU-Werte für ihren persönlichen Durchbruchsplan eine Fremdsprache bleiben würden.
Da sie für die Zukunft mit wechselnden Partnerschaften rechnet, macht Merkel auch im Wahlkampf 2009 eher Kanzler-Wahlkampf aus dem Geist der Großen Koalition. Sie weiß bereits, dass ihre öffentliche Reputation eine eigene Erfolgskurve durchläuft, die mit parteipolitischen Meriten absolut nichts zu tun hat. Und das entspricht ihrem persönlichen Karriereplan: unabhängig von Parteien ein internationales Renommee aufzubauen, das vom großen Format der Krisenthemen bestimmt wird, bei denen sie vor allem durch Präsenz, selten aber durch klare Konturen glänzt.
Ihr Vorwissen über die Gesichter der Macht liefert der Aufsteigerin seit ihrem Seitenwechsel aus dem Ghetto der Ohnmacht in die Zirkelder Macht einen Vorsprung vor ihren Westkollegen, der vor allem in Illusionslosigkeit besteht. In der DDR hat sie studiert, dass die Selbstinszenierung der Macht jede Qualifikation überdeckt und ersetzt. Ihren Weg in der Westpolitik des geeinten Deutschland hat sie gemacht in der Überzeugung, dass es auch im freien Teil der Welt nicht anders ist.
Ihr Credo «Lass dich nicht ausrechnen, gib keine Versprechen, relativiere alles was du siehst, auch Ethik und Moral, begreife Werte als Manövriermasse» hat sie im politischen Umgang mit der politischen Westpopulation durchgehend überlegen gemacht. Ob die Kanzlerin mit diesem neuen Politikstil eine Botin aus der Zukunft ist, der Prototyp eines Führungsprofils für eine postdemokratische Epoche, die keiner ihrer Anhänger und ihrer Gegner bisher versteht, das ist die schwebende Frage, die noch niemand formuliert.
Merkels Geheimnis – Windsbraut oder Windmaschine?
Nicht selten erscheint das Schweigen der Kanzlerin wie das Zentrum einer geheimen Mission, von der sie weiß: Noch kann sie sie mit niemandem teilen. In der Startphase ihrer Westkarriere hat sie in einem Mediengespräch gesagt, sie habe in der DDR gelernt, «zwischen den Zeilen zu lesen«. Zwischen ihren Zeilen, dazu scheint sie einstweilen entschlossen, soll niemand lesen.
Wer die erste Frage stellt, muss die Anschlussfrage zulassen: Wenn die Kanzlerin sich als Pionierin einer neuen, zentralistisch regierten Epoche nach der demokratisch dominierten sieht, ist diese Zielmarke dann so etwas wie ein Programm, das vor allem ihren persönlichen Aufstieg zu neuen, noch gar nicht kreierten Ämtern sicherer machen soll? Oder entspricht ihr undercover eingeschlagener Weg aus der demokratischen in eine zentralistisch regierte, übernationale Staatenwelt einem Erkenntnisvorsprung, der das Unausweichliche dieses Systemwandels als politischen Auftrag versteht?
Dann wäre das Belohnungskonzept, dem ihre Personalpolitik in eigener Sache folgt, nicht mehr Gegenstand derKritik, wie sie Altkanzler Helmut Kohl äußert: diese «Entourage» sei «drittklassig». Der Gehorsam als Kardinaltugend ihrer Vasallen wäre dann die Top-Qualifikation für alle nächsten Mitarbeiter, deren Chefin ihre geheime Kommandosache mit niemandem teilen kann.
Die Ungerührtheit, mit der Merkel jene klugen Kritiker keines Kommentares würdigt, die eine Demokratie verteidigen, deren Leistungsbeweise sie für unsterblich halten, wäre im Lichte einer geheimen Mission der Kanzlerin nicht mehr als Hybris zu verstehen, sondern als Sendungsbewusstsein.
Auch die Aufforderung an Merkel, «mehr Führung» zu liefern, wird gegenstandslos, wenn wir sie als Geheimnisträgerin sehen, deren Projekt alle Mitspieler – noch – überfordert. Wer führt, muss informieren. Wer führt, muss kommunizieren. Wer als Führungskraft nicht kommuniziert, der «lässt kommunizieren», und die deutsche Kanzlerin hat keine Wahl, die Kommunikationsmacht an sich zu reißen,
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