Die Patin
Bundesverteidigungsminister Informationspannen zu einem verhängnisvollen Luftangriff aus zwei entführten Tanklastzügen in Afghanistan einräumen muss. Sein Nachfolger Guttenberg wird sich aus demselben Thema trickreich befreien. Nach Jungs Demission 2009 ist es Anfang 2010 der baden-württemberigsche Ministerpräsident Günther Oettinger, der sein Amt zur Verfügung stellt. Im gleichen Jahr legt Jürgen Rüttgers, noch geschäftsführender Ministerpräsident, alle politischen Ämter nieder, nachdem seine Partei die Wahl in NRW verloren hat.
Das Jahr 2010, Startjahr der schwarz-gelben «Wunschkoalition», liefert nun Rücktritte Schlag auf Schlag. Nach Rüttgers und Oettingerverabschiedet sich auch Hessens Ministerpräsident Roland Koch aus der Politik. Er war, neben Wulff, einer der wichtigen Aspiranten auf die Merkel-Nachfolge. Um Wulff kümmert sich die Kanzlerin deshalb selbst. Der Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler, ein schwarz-gelber Coup aus dem Oppositionsjahr 2004, schafft unverhofft Raum für die Entsorgung des Rivalen ins höchste Staatsamt. Beide Wahlen verzeichnen deutliche Demokratieverluste. 134 Köhlers Begründung für seinen Rücktritt, mangelnder Respekt der Medien vor dem Präsidentenamt, passt in das turbulente Jahr mit den meisten Abschieden von CDU-Politikern im Augenblick der Machtübernahme durch die CDU-FDP-Koalition.
Im Juli 2010 meldet sich Regierungssprecher Ulrich Wilhelm ab: Er wird Intendant des Bayerischen Rundfunks. Ole von Beust, Bürgermeister in Hamburg, räumt ebenfalls seinen Platz. Und schon im Januar 2011 meldet Peter Müller, Ministerpräsident im Saarland, seinen Rücktritt von allen politischen Ämtern.
Im März 2011 kapituliert der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vor dem Echo seiner Affäre um getarnte Zitate in seiner Dissertation zum Doktor der Rechte.
Der abgewählte Ministerpräsident der CDU in Baden-Württemberg, Stefan Mappus, räumt auch seinen Chefsessel bei der Landes-CDU. Im Mai 2011, noch vor der Halbzeit der schwarz-gelben Koalition, versucht die FDP wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen: Sie opfert ihren Vorsitzenden, der die Rolle des Sündenbocks übernimmt und auch als Vizekanzler zurücktritt. Es gelingt der Partei nicht, ihre Lage als prädestinierter Verlierer in der «Wunschkoalition» früh genug zu analysieren. Die Liberalen scheitern an ihrer besten Eigenschaft: der Liberalität. Ihr Gespür für Verrat ist unterentwickelt; ihr Misstrauen springt nicht an, wenn Versprechen gebrochen werden.
Anders der Präsident der Bundesbank, Axel Weber, der Gerüchte über ein Versprechen nicht für das Versprechen selbst nimmt. Nach vergeblichem Warten auf eine Erklärung der Kanzlerin, von der die Pressetäglich meint, sie läge in der Luft, quittiert er seinen Chefposten bei der Bundesbank. Die Entschleunigungskanzlerin opfert damit die Top-Position in der Europäischen Zentralbank; der Italiener Mario Draghi rückt dort nach.
Axel Weber, das ist das Geheimnis der Kanzlerin in diesem wie in anderen Fällen von Jobverzicht, den sie für Deutschland scheinbar beiläufig organisiert, Axel Weber vertritt eine Geldpolitik, wie sie das Gesetz für die Bundesbank und die Europäische Zentralbank vorzeichnet. Unter Axel Webers Leitung wäre die Flutung der Geldmärkte nicht der neue Normalfall geworden. Der Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark, hat bis in den späten März 2012 gewartet, bis er seinen am 9.September 2011 zum Jahresende verkündeten Rücktritt in voller Schärfe begründet: «Die Politik will nicht zum Kernproblem vordringen», sagt er dem Handelsblatt . Er habe wegen unerträglicher Loyalitätskonflikte die EZB verlassen. 135
Der Eindruck, dass die Politik unter Kanzlerin Merkel großen Wert auf genau jene Spielräume zur Flucht vor der Wahrheit der europäischen Schuldenkrise der Staaten legt, bestätigt sich auch im dritten Fall: Jens Weidmann, Wirtschaftsberater der Kanzlerin, wird Chef der Bundesbank. Er wechselt die Loyalitätsadresse und überrascht mit Stehvermögen. Ob er tatsächlich Gegenpart der Kanzlerin ist oder ihr U-Boot, wagt keiner, der das System M studiert hat, zu entscheiden.
Axel Weber wechselt nach kurzem US-Forschungsexil auf den Präsidentenplatz bei der Schweizer Großbank UBS.
In der Politik sind es oft Grotesken, die zum Amtsverlust für die Fähigsten führen. Eine typische Politposse kostete den Wirtschaftsminister der FDP, Rainer Brüderle, sein Amt. Kollegen auf
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