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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gertrud Höhler
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Regierungskurs, immer noch im Werben um die Sympathie der Kanzlerin auf Knien unterwegs, nahmen Brüderles zutreffende Bemerkung zur ‹emotionalen› Qualität des Ausstiegsrausches nach dem Kommando der Kanzlerin zum Anlass, sich von dem besten Wirtschaftsminister zu trennen, den sie gegenwärtig aufbieten können, um die CDU-Chefetage zu beruhigen. BrüderlesVergehen: Offenheit statt kalkulierter Heuchelei. Die Chance, genau dies als FDP-Profil zu verteidigen, wurde mutlos vertan.
    Die FDP spürt nicht einmal mehr, dass Brüderle ihr Joker ist; sie reagiert angepasst an die Kampagnenmentalität der Heuchler in der Kanzlerpartei. Brüderle, political animal der alten Schule, nimmt den Übereifer der Parteifreunde mit einem ironischen Lächeln – und wartet gelassen auf seine Stunde. Und er kommt wieder, immer ein Lächeln im Mundwinkel.
    Zu den Überlebenden des Systems M gehört auch Jens Weidmann. Als Chef der Bundesbank überrascht er mit «klassischen» Positionen der Stärke, die dem faktischen Machtverlust der Bundesbank nicht entsprechen. Die Beobachter sind uneins: Ist Weidmanns Kritik an Mario Draghis kühner Geldpolitik ein Undercover -Auftrag der Kanzlerin? Weidmann als Mahner und Sparkommissar, der den Chef der Europäischen Zentralbank, den Italiener Draghi, offen angreift? Ein Scheingefecht, sagen EZB-Insider, das Weidmanns geschwächte Position stärken soll. Ende März 2012 klärt sich das Bild: Weidmann kritisiert die wachsende Verschuldung im Haushalt des Bundesfinanzministers. Seine Unabhängigkeit von der deutschen Regierung ist inzwischen bewiesen. «Wenn wir als Bundesbank eine Meinung haben, dann sagen wir sie. Es kann nicht immer nur darum gehen, die Märkte zu stabilisieren», sagt Weidmann. 136 Ein kritischer Brief, den er an den EZB-Präsidenten Draghi schrieb, fand den Weg in die Öffentlichkeit. So war Draghi zu einer Erklärung für seine kühne Geldpolitik gezwungen: Natürlich gebe es Risiken und Nebenwirkungen, wenn man ein derart starkes Medikament einsetze, wie es die knappe Billion Euro gewesen sei. «Darauf hat Jens Weidmann zu Recht hingewiesen, und ich bin mit ihm einer Meinung», so Draghi beschwichtigend. 137
    Weidmann hatte schon Anfang März 2012 mit einem Tabubruch überrascht: Die Bundesbank, so ließ er verlauten, schließt ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone nicht aus. Beobachter fragen sich seither: Wardas regierungskonform oder ein Signal für Weidmanns Anspruch auf Unabhängigkeit? Der Satz erinnert immerhin daran, dass Angela Merkel zu Beginn der Griechenland-Krise die Einzige war, die ungerührt für einen Ausschluss des Landes aus der EU plädierte.
    Auf diesem Hintergrund ist die Frage «U-Boot oder Freischwimmer?» schwer zu beantworten. Wäre er wirklich unabhängig, dann wäre der Bundesbankchef ein Unikat. Da die Kanzlerin eine Schweigerin ist, darf weiter spekuliert werden.
    Regieren: Ein Entsorgungsunternehmen für alle Bindungen
    Merkels Geheimnis als Aussteigerin aus bewährten Bindungen ist lesbar in rollenden Köpfen, aber auch in wohldosierten Proben zur Relativierung von Parlamentarismus und Recht, aus dem Wettbewerbskern der freien Marktwirtschaft, aus der Völkergemeinschaft der NATO, lauter kleine Tests, die wie isolierte Zufallsereignisse erscheinen und schnell im Strom der Ereignisse in Krisen-Europa unter die Oberfläche geschwemmt werden – um nach gewisser Zeit erneut nach oben zu kommen und ein ungewisses Déjà-vu auszulösen, das kaum einer zu Ende denkt und bewertet. Die Aussteigerin ist es gewöhnt, in großen Zeiträumen zu denken. Sie weiß, dass die Dosierung für Gewöhnungsprozesse entscheidend ist. Ab und zu ein Gesetzesbruch, «alternativlos» natürlich oder so unauffällig, dass man ihn nicht kommentieren muss; ab und zu eine Relativierung moralischer Spielregeln und ethischer Gebote: Die Wirkung ist zuverlässig – Gewöhnung, Entdramatisierung der allgemeinen Einstellung zu Ethik und Moral. Die Einladung zum Ausstieg aus den Fesseln eines Wertekodex, der alle verbindet, wird in feiner Dosierung als Entlastungsangebot erlebt. Merkels Geheimnis ist der Ausstieg aus Bindungen von Fall zu Fall. Commitment , Loyalitäten werden nicht offiziell außer Kraft gesetzt, aber disponibel gemacht: das Leben in der Lockerung aller Bindungen wird ein Aussteigerprogramm mit Lizenz von oben. Die Führung selbst stellt das Regelset zur Disposition.
    Auch das Scheitern der schwarz-gelben Koalition findet eher im Auge des traditionellen

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