Die Patin
bei Straßendemonstrationen hat sie vermieden. Sie war die erfolgsorientierte Aussteigerin der letzten Stunde. Im Vorfeld strapazierten sich die andern.
Wer Merkels Karriere als eine Kette von Ausstiegen zu lesen beginnt, gewinnt Spielräume in Richtung von «Merkels Geheimnis». Kaum ausgestiegen aus dem Ostsystem, am Spalier erster klar definierter Jobs auf Westkurs, trifft sie «drüben», im Westen, schon wieder auf ein Ausstiegsszenario: Eine halbherzige Männertruppe in der West-CDU, die ihren Vorsitzenden loswerden möchte, aber keinen Täter für das Kardinalverbrechen an ihrem Übervater finden kann. Angela, die Aussteigerin, hat schnell begriffen, dass diese Angelegenheit hasenherziger Söhne ganz schnell auch ihre, der Aussteigerin Angela M., Sache werden könnte. Schnell erkennt sie, dass sie selbst am wenigsten befangen ist, da sie mit diesem Vater nur eine Ferngeschichte hat, genauer eine Fernsehgeschichte,an die sich freilich ein kurzes Tochter-Kapitel angeschlossen hat. Angela, die Aussteigerin, ist cooler als ihre neuen Kumpels im Westen, weil sie nicht Wirtschaftswunder, sondern sozialistischen Realismus gelöffelt hat, 35 Jahre lang. Sie ist illusionslos genug zu wissen, dass mit dem politischen Vaterkonflikt auch der unerledigte Vaterkonflikt zu Hause, den sie beim Ausstieg hinter sich ließ, einen Abschluss finden könnte.
Die Aussteigerin Angela zeigt der Westpartei, wie man aus der Tradition mit einem dominanten politischen Vater aussteigt, und sie versäumt es am Anfang nicht, ihr Projekt «Ausstieg aus der alten CDU» mitzuteilen. Ihr Manifest des Ausstiegs aus dem System Kohl 133 ist zugleich ein Umsturzprogramm für die West-CDU, das ihre politischen Kollegen vor lauter Scham über den an eine fremde Frau delegierten Vatermord überhaupt nicht gründlich lesen. Ihre Partei, dieser Koloss von Volkspartei mit stolzer Nachkriegsgeschichte, müsse «laufen lernen», steht da, und kein CDU-Mann empört sich über diesen Übergriff einer Newcomerin mit Short story in der Partei.
Merkels Testfahrt durch die CDU-Themen in den Jahren nach diesem furiosen Start ist nichts anderes als ein Abarbeiten von CDU-Werbetafeln, die, wie die Testerin fand, keine Bindekraft mehr entwickelten. Bis zum Einstieg in die grosse Koalition, der wiederum eine Kette kleiner Ausstiege aus klassischen CDU-Themen auslöst, hat Merkel die CDUProgrammatik abgeklopft und Slogan für Slogan verworfen, ohne die Partei aus ihrer Identitätssuche aufzuschrecken. Was sie brauchte, war Akzeptanz für die jeweils nächste Stufe der Macht. Die CDU glaubte jahrelang, einem Anpassungsprozess zuzusehen: Eines Tages würde die Zusteigerin in der Mitte der Partei ankommen. Dabei häuften sich die Beweise, dass Merkels Geheimnis nicht der langsame Einstieg, sondern der wohldosierte Ausstieg aus den Kernbeständen des CDU-Wertekodex war und ist. Die Ausstiege ihrer Rivalen aus der CDU wurden zwar dem Regiment von Angela Merkel zugerechnet; dass es aber der Ausstieg der Vorsitzenden aus der CDU-Agenda war, der ihre Konkurrenten in dieFlucht trieb, wollte niemand so recht ernstnehmen, weil die Anschlussfrage unabweisbar geworden wäre: Ist die Vorsitzende, eine Spezialistin für Ausstiege aus Überzeugungen, Werten und Normen, für die Partei langfristig wichtiger als all jene Aspiranten auf die Top-Ebene der deutschen und europäischen Politik, die das System Merkel verlassen haben?
Die Starken gehen, die Schwachen bleiben
Helmut Kohls Sturz 1999 war der Paukenschlag, mit dem eine Fluktuation in Gang kam, die weit über den normalen Personalaustausch hinausging und Jahre dauern sollte. Wolfgang Schäuble kapitulierte im Jahr 2000 und kam später zurück. Er ist der Überlebenskünstler im System M. Seine nicht endende Kronzprinzenrolle bei Kanzler Kohl kann als Trainingsprogramm für seine unerschütterliche Mischung aus Treue und Gelassenheit verstanden werden. Friedrich Merz trat Ende 2004 vom Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden zurück. Seine Kontroversen mit Angela Merkel spiegeln einen Großkonflikt, den andere Spitzenpolitiker in der CDU nicht auf offener Bühne austragen, aber mit ihrer Abwanderung aus dem System M als unlösbar einstufen. 2008 gibt der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt sein Amt als Ministerpräsident auf. 2009 stellt Dieter Althaus in Thüringen sein Ministerpräsidentenamt zur Verfügung. Franz Josef Jung gibt sein Amt als Bundesarbeitsminister zurück, nachdem er für seine Zeit als
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