Die Patin
die Erosion der Verfassungsnormen weitergeht, wird kein Historiker bezweifeln. Wenn die politische Führung das Präsidentenamt nichtmehr achtet, bleibt es trotzdem der einzige Platz in Deutschland, der Bürgernähe durch Abstand zu den Parteien liefern kann.
Christian Wulff hat auf den Schutz durch das Amt gesetzt und bis zuletzt nicht begriffen, dass dieser Schutz nicht ein kostenloser Bonus ist, den man abrufen kann. Dem Amt ‹gerecht werden› heißt, Achtung vor dem Amt mitbringen, um Achtung für die eigene Amtsperson zurückzubekommen.
Wulff kämpfte um das Amt in einer Mischung aus Unter- und Überschätzung seiner Möglichkeiten. Er hatte sich mehr von der Sicherheitslieferung im höchsten Amt versprochen. Sein Sinn für Gratifikationen funktionierte bis über das Amt hinaus; es war jener Sinn des Aufsteigers fürs ‹Mitnehmen› von Vorteilen, der ihm in seinen früheren Ämtern nur Vorteile gebracht hatte. Dass er dabei seine Partner, ebenfalls Vorteilsnehmer, zu ‹Freunden› ernannte, geriet ihm erst beim Wechsel seiner Lebenswelten zum Nachteil.
«Der falsche Präsident», wie der Spiegel gegen Ende der Affäre titelte, 182 war Christian Wulff vor allem deshalb, weil er darauf bestand, das Amt seinem eigenen Profil anzupassen. Woche um Woche verstärkte sich der Eindruck, dass es der Präsident selbst sei, der das Amt herunterholte in die Niederungen des Boulevards.
Der Eindruck, dass die Affäre durch Bild vom Zaun gebrochen worden sei, konnte schon deshalb nicht entstehen, weil die Recherchen des Spiegel lange vor der ersten Bild -Headline begonnen hatten. Wulffs Empörung über den Seitenwechsel der Bild -Zeitung beruhte ja ebenfalls auf einem plötzlich wegbrechenden Privileg, das er zornig beschwor: Bild war doch über Jahre eine Verbündete gewesen! Diekmann konnte sich doch nicht plötzlich wegstehlen aus dieser ‹Freundschaft›! Der Christian Wulff der vorpräsidialen Ära hatte in einem Biotop gelebt, dessen Zerbröseln dem Präsidenten Wulff völlig unverständlich blieb. Auch daraus erklärt sich die unprofessionelle Verteidigung des Präsidenten durch seine Mitarbeiter. Der Präsident war nicht auf der Höhe seines Amtes; daraus ergaben sich täglich neue Überraschungen. ChristianWulff ist als Präsident zu unprofessionell und zu misstrauisch, um sich Berater zu leisten, die eine hochkarätige Verteidigung liefern. Seine Beschränkung auf Weggefährten aus früheren Ämtern wirkt im neuen Amt als Handicap.
«Man muss man selbst sein», sagt der Präsident, als es eigentlich schon richtig ernst um ihn steht. Die Flucht ins ‹man›, die wir schon von Karl-Theodor zu Guttenberg kannten, wählte Wulff auch in seinem Fernsehinterview, wenn er eigentlich hätte sagen sollen: ICH hätte dies und das nicht tun sollen. Man hätte manches anders machen können, sagt er statt dessen; und «man ist Mensch» statt ‹Ich bin leider auch nur ein Mensch›. Er kennt das Wörtchen ‹ich › aber sehr wohl: «Ich entschuldige mich», sagt der Präsident. So erfährt das Publikum ihn dann doch noch als einen Mann von sublimem Hochmut; er bittet nicht um das, was nur andere gewähren können: Entschuldigung. Er nimmt es sich kurzerhand selbst.
Wie geht es einer Kandidatenmacherin, wenn ihr Kandidat scheitert? Genau genommen blieb Wulff bis zu seinem Abgang für Merkel die richtige Wahl; und dies nicht nur, weil er aus dem operativen Betrieb nun wirklich ausgeschaltet war. Wulffs Aufgabe bestand ja auch in der weiteren Nivellierung des Amtes. Das Hintergrundsmilieu Hannover mit den schillernden Partyfreundschaften gab von Anfang an eine neue Beleuchtung für die präsidiale Welt von Schloss Bellevue ab. Dass die Kanzlerin noch im Januar 2012 auf ihrer Hochschätzung für Amtsführung und Person des Präsidenten Wulff bestand, heißt ja, dass sie selbst eine andere Bewertung der bis dahin verfügbaren Fakten vornahm als viele Fachjuristen. Die Kanzlerin gab damit am 6. Januar 2012 ein klares Statement ab, das sagen sollte: Ich, die Erfinderin dieser Besetzung im Schloss Bellevue, finde in allen bisher vorliegenden Klagepunkten gegen den Präsidenten keinen, der seinem Verbleib im Schloss Bellevue als Bundespräsident entgegenstünde.
Merkwürdig genug, dass die deutsche Öffentlichkeit solche Voten nicht skandalös fand, da sie doch die Rechtspraxis für gegenstandslos erklärten. Immer wieder profitiert die Kanzlerin von der gesenkten Erwartungshaltung im Land. Man nimmt solche
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