Die Patin
im Sterben liegen: Vertrauen, Verlässlichkeit, Wahrhaftigkeit, Mut. Gauck neben der Sprachverweigerin Merkel, das war schon damals eine fast vergessene Erfahrung: Das Medium ist die Botschaft. Wo Gauck auftritt, da sprechen unsere,nicht seine Sehnsüchte, so spürten viele Abgeordnete mit Schrecken. Es klingt ein Heimweh an, das jeder von uns mit niemandem zu teilen wagte: Wie Gauck von Deutschland spricht, so möchte Deutschland sprechen. Mehr ist es nicht. Eindeutig aber ist das für Angela Merkel schon zuviel. Sie möchte nicht so von Deutschland sprechen. Sie möchte überhaupt so wenig wie möglich sprechen; sie möchte aber auch nicht durch den sprachgewaltigen Präsidenten Gauck vertreten sein. Damals, 2010, konnte sie diese Aversion noch zur Staatsräson machen. 2012 lief es gegen sie – auch wenn sie schnell noch ins ablegende Boot sprang.
Die Vision aber, die einige von uns schon 2010 durchzuckte, sah eine Selbstrettung der Mächtigen und eine Rettung ihrer gefangenen Rudersklaven. Es war, wie wir heute wissen, die Vision 2012, die einige von uns vorwegnahmen, ohne die Zukunft zu kennen.
Ich schrieb damals: «Dies könnte, fast schon vorübergezogen, die große Stunde der Mächtigen sein. Die singuläre Chance, ihre Macht nicht mehr zu überschätzen. Mehr noch: die Quellen der Macht auch im Reich des Guten zu suchen. Erschreckt es niemanden im Politolymp, dass auch die Presse im Falle Gauck die Parteilichkeit abgelegt hat? Dass alle Medien den Wanderer feiern, der Deutschland mehr zutraut als die deutschen Politiker, das ist die große, unabhängige Leistung der Medien, die ihre gemeinsame Stunde erkannt haben.»
Und ich hielt 2010 für möglich: «Die große Stunde der Kanzlerin könnte sich anschließen. Sie könnte alles, wovon Gauck profitiert, für sich gewinnen: Kanzlerin aller Deutschen wollte sie sein. Über den Parteien stehend, sollte sie nun ihre Richtlinienkompetenz nutzen, um alle Politiker daran zu erinnern, dass alle Mitglieder der Bundesversammlung eine geheime Gewissensentscheidung treffen, die keine Partei mit einer Drohung belegen kann. Als Kanzlerwort wäre diese Mahnung in der Ära Merkel neu, sie wäre auch unerwartet. Sie bringt ein Versprechen mit: dass der Missbrauch der Bundesversammlung und der Steuerungsanspruch der Parteien an die Kandidaten ein Ende finden – nicht irgendwann, sondern jetzt.» 181
Auch zwei Jahre später, im dritten Akt der ‹Präsidentendämmerung›, war Angela Merkel nicht bereit, der Verfassung unseres Landes Raum zu geben und die demokratischen Regeln einzuhalten. Es bedurfte eines Kraftaktes ihres kaltgestellten kleinen Koalitionspartners, dem Mehrheitskandidaten zum Sieg zu verhelfen. Er hieß wieder Joachim Gauck, und er war wieder via Kanzlergebot «für die CDU nicht wählbar».
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Kanzlerin, die den Allparteien-Zentralismus als ihre Machtbasis ansteuert, in diesem Streitfall von einer Allparteien-Koalition mattgesetzt wurde.
Der zweite Akt der ‹Präsidentendämmerung› stand erst nach diesem unrühmlichen Start mit drei Wahlgängen und verschärften Drohungen der CDU-Führung in den Sitzungspausen im Zeichen des entmachteten Rivalen ums Kanzleramt, Christian Wulff.
Die Geschichte seiner Präsidentschaft wurde schon nach wenigen Monaten zu einer Never ending -Abschiedsstory.
Die Logik des Scheiterns war bald für jedermann offenkundig: Wenn die Kandidatenkür ein anderes Ziel hat, als den Besten für das hohe Amt zu nominieren, dann wird es nicht der Beste, sondern irgendeiner. Wer das Amt ohnehin in Richtung Abschaffung entwerten möchte, hat gar keine Kriterien mehr für die Besetzung – außer dem eigenen Vorteil, und der heißt im System M Machterhalt.
Ein zu Dank verpflichteter Jünger aus vielen Jahren Merkel-Aufstieg ist dann im Gegenteil genau die richtige Besetzung.
Wer die Geschichte von Angela Merkels Aufstieg zur Bundeskanzlerin aufmerksam studiert, der findet keinen Jasager häufiger vertreten als Christian Wulff. Er stimmt zu, er bekräftigt, er springt in die Bresche, gleichviel welches Thema ansteht. Er ist wie eine Ein-Mann-Schatten-Claque immer schon da. Wenn es dann am Ende nicht das Kanzleramt sein konnte, so war doch das Präsidentenamt für soviel Loyalität eine schöne Belohnung – könnte der Ernannte gedacht haben.
Und wieder suchte die Demokratie sich ihren Ort in der Medienöffentlichkeit, einig wie im Fall Gauck, nur mit umgekehrtem Vorzeichen, aber unter
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