Die Patin
Vertrauenserklärungen,die allen ernsthaften Experten ihr Werkzeug aus der Hand schlagen, bereits wortlos als das, was sie sind: taktische Manöver – im Fall Wulff: Entschleunigungsmaßnahmen für die Agonie eines Amtsträgers und seines Amtes. Je länger er bleibt, schrieben Kommentatoren jeder Couleur, desto größer wird der Schaden für das Amt. An dieser Schadensbilanz arbeitet die Kanzlerin seit der demokratieverachtenden Wahlstory für den falschen Präsidenten tatkräftig mit.
Deshalb war die gesamte Story Wulff für die Kanzlerin eine Erfolgsgeschichte zur Relativierung von Staatsämtern. Das Amt über der Kanzlerin darf es in Merkels Allparteien-Zentralismus gar nicht mehr geben. Es wird dann faktisch überflüssig, weil das Ziel des Präsidentenamtes, über den Parteien zu stehen, ja schon durch die Kanzlerin besetzt ist.
Dennoch hatte die Kanzlerin für den dritten Akt der ‹Präsidentendämmerung› wieder einen Abstecher in die Wertewelt der heimatlosen Deutschen aller Lager geplant: Klaus Töpfer, der Ethik-Fabrikant mit Öko-Bonus, sollte Präsident werden. Nebeneffekt wäre ein Sympathiesignal an die Grünen gewesen. Also wieder eine multifunktionale Besetzung, gegen die kaum lauter Widerspruch zu erwarten war. Solange die Fäuste in den Taschen bleiben, gilt der Kanzlerinnenwille.
Aber diesmal kam es anders. Auch das hatte mit offenen Rechnungen zu tun; diesmal von moribunden Mitspielern, denen Merkel keinen kraftvollen Racheakt gegen ihre eigene Politik mehr zutraute.
Dritter Akt: Das Gauck-Paradox – Unsterbliche Werte, die im Sterben liegen
Zweimal das nie Gesehene und im Gesetz für Bundespräsidenten nicht Vorgesehene: Zwei Rücktritte nach Auswahl- und Wahlverfahren mit deutlichen Demokratie-Handicaps. Was macht die Verantwortliche aus diesen Erfahrungen?
Angela Merkel, Kanzlerin, sieht ihre Chance für ein neues Spiel nach demselben Muster. Bis wann der dritte Bundespräsident im Amt bleiben würde, war im Frühjahr 2012 noch weniger die Frage als bei den KandidatenKöhler und Wulff. Denn 2012 geht es um ein Nahziel, das schon in der Kandidatenauswahl eine deutliche Botschaft aussenden würde: Bischof Huber, der in den neunziger Jahren mit einem SPD-Bundestagsmandat geliebäugelt hatte, hochaktiver Pensionär nach vielen Jahren als evangelischer Bischof von Berlin-Brandenburg, und Klaus Töpfer, Umweltminister und international renommierter Öko-Experte mit einem klaren Faible für Schwarz-Grün standen auf dem Ticket der Kanzlerin.
Das Nahziel ist die Bundestagswahl 2013, und dafür hätte man am liebsten beide, um künftige Koalitionen durchzuspielen.
Das neue Spiel gewann schnell an Tempo. «Sie kann alles›, titelte Die Welt bereits am 18. Februar. «Auch bei der Kandidatensuche spielt die FDP nur eine Nebenrolle», steht im Vorspann des euphorischen Artikels. «Angela Merkel ist das wahre Staatsoberhaupt Deutschlands!», teilt die Zeitung im Untertitel mit. «Längst schwebt die Kanzlerin über den Parteien und übernimmt die Aufgaben ihrer gescheiterten Bundespräsidenten einfach mit», meint der faszinierte Autor. Sein Fazit am Ende des Artikels gibt die einmal erreichte Überflughöhe nicht auf: «Die Präsidialkanzlerin wird vorher entscheiden, wer diesmal in Bellevue gastieren darf.»
Die mediale Claque funktioniert also. Merkels Beliebtheitswerte sind zeitgleich mit Wulffs Abschied auf ein neues Hoch um die 36 Prozent geklettert. Wegen dieses Abschieds? Trotz dieses Abgangs? Begeisterungsfähige Journalisten spekulieren jedenfalls in der Welt munter weiter. Zum Beispiel zum Auswahlverfahren.
Die Kanzlerin, so hörte man, wolle einen für Rot-Grün akzeptablen Kandidaten benennen. «In der CDU hält man es (…) für denkbar, mit CSU und FDP nur noch Vorgespräche zu führen und den Kandidaten dann erst in großer Runde – also gemeinsam mit Sozialdemokraten und Grünen – zu küren. Merkel würde wieder überparteilich glänzen.» 183
Dass es vor allem darauf ankäme, war auch der Kanzlerin klar, nachdem ihr scheintoter Regierungspartner FDP seinen Coup gelandet hatte. Die Meisterin der Volten zeigte den Salto mortale ins Allparteien-Lager,wo der Kandidat das Rennen machte, den sie vor Stunden noch als «nicht wählbar» disqualifiziert hatte.
Ein Beben erschütterte Merkels Welt, einstweilen nur unterirdisch.
Aber die Presse schreibt neben Triumphgesängen für die Präsidentenkanzlerin auch Klartext: «Zweimal hat die Kanzlerin die Kür des Präsidenten zum
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