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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gertrud Höhler
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eigenen politischen Vorteil genutzt», schreibt die Financial Times Deutschland Online, «zweimal ging das nach hinten los. Den dritten Versuch stoppte eine ungewöhnliche Allianz aus FDP, SPD und Grünen. Sie führten Angela Merkel vor.» 184
    Das ist die Stunde für die treuesten Vasallen: Peter Altmaier, der multifunktionale Anwalt der Chefin in hundert Talkshows, liefert die Sieger-Lesart für den eben gelandeten Flop der Kanzlerin: Sie habe durch «ihre Initiative für eine parteiübergreifende Kandidatensuche den Weg für Gauck ins Präsidentenamt überhaupt erst möglich gemacht», erklärt er via ARD dem Publikum. Damit nicht genug: Die Kanzlerin habe, so fährt er fort, damit dem Land «eine Zerreißprobe erspart mit wochenlangen Diskussionen». Solche Freunde braucht man eben, würde Wulff sagen.
    Die Kanzlerin als Letzte und gegen ihren erklärten Willen im gemeinsamen Boot: Das hatte es im System M noch nicht gegeben. Der Bedarf an Legenden aus der Regierungszentrale war groß. Immer waren andere per Zwang im Allparteien-Boot, das war beim Euro-Rettungsclub so wie beim Handstreich Energie. Beim Atomausstieg hatte die Kanzlerpartei sogar die SPD überholt und die Entmachtung der Grünen eingeleitet. Im Regierungsbündnis hatte sie eine ganze Partei per Koalition erledigt, die FDP. Angela Merkel war bis zur Gauck-Wahl die Frau der Erstschläge, und das auf allen Politikfeldern. Die Niederlage ist trotz des augenblicklich übergestreiften Siegerkostüms von spezieller Qualität, weil sie zweierlei verbindet: den Sieg der verbündeten politischen Gruppierungen, die nicht die Kanzlerin stellen, und den sicheren Sympathieträger, der als Wahlsieger schon vor der Wahl verlässlich ist.
    Aber der Abstand, den die deutsche Geschichte auch von diesem Ereignis gewinnen wird, könnte uns zeigen, dass der Durchbruch einer Allparteien-Allianz gegenüber dem Allparteien-Anspruch der Regierungschefin grundsätzliche Bedeutung hat. Person und Vita von Joachim Gauck waren ja nicht zufällig in Angela Merkels Agenda mit «nicht wählbar» zensiert. Sie wusste in ihrer gesamten Karriere, was Joachim Gauck weiß: Beide trennt mehr als die eine oder andere Ansicht von den Dingen; beide verkörpern zwei absolut gegensätzliche Folgerungen aus dem Untergang der DDR, weil beide schon vor der Wende zwei sehr verschiedene Varianten des Umgangs mit ihrer Heimat DDR gelebt haben.
    Was Gauck mitbrachte in das Deutschland der Einheit, war das kämpferische Engagement für alles, was die DDR ihren Bürgern genommen hatte: Freiheit, Entfaltungsrechte, Bildungschancen, Menschenwürde. Angela Merkel würde zu diesen Werten, die bei uns Verfassungsrang haben, beiläufig nicken. Ihr vitales Interesse gilt anderen Themen. Aber da schließt sich ihr Revier. Was sie erreichen will, darf nicht vorher besprochen werden, soviel weiß sie aus den Lehrbüchern der Macht, die ja auch in ihrer ersten Heimat aufgeschlagen lagen, falls man sich für den Maschinenraum der Macht interessierte. Gleichviel in welchem System, die Grundregeln, so Merkels Erfahrung, sind gleich. Und Macht ist auf jeden Fall besser als Ohnmacht, so ihr Credo.
    Gaucks Wahl war in diesem unter der Oberfläche liegenden Sinn ein Sieg der Demokraten über das zentralistische System der Kanzlerin: Nun stehen an Deutschlands Spitze zwei konträre Entwürfe einer Zukunft, die beide auf dem Terrain der Unfreiheit entwickelt wurden. Im Machtkonzept der Kanzlerin dominiert der Abschied vom Wertekonsens zugunsten eines grenzenlosen Relativismus: Planwirtschaft der Werte. Für Gauck sind die aus der Antike ererbten Werte, die Menschenwürde nicht kollektiv, sondern individuell garantieren, unsterblich.
    Wieviel von diesem fundamentalen Unterschied der beiden Repräsentanten des neuen Deutschland in den Köpfen und Herzen der Gauck-Allianz bei der Präsidentenkür präsent war, ist schwer auszumachen. Wir werden aber von nun an die Chance haben, den Gegensatz deutlicherzu erleben als bisher, da der Gauck-Part in den Fäusten versteckt blieb, die viele Abgeordnete in ihren Taschen hielten, um der Revanche der Kanzlerin zu entgehen.
    Für die Chronisten bleiben viele Rätsel in dieser Konfrontation zweier Lesarten für das, was Deutschland sein möchte und was es werden soll. Die Kanzlerin würde sich ‹der Zukunft zugewandt› beschreiben und den sozialistischen Touch dieser Liedzeile nicht ablehnen. Der Präsident sagt: «Wir lassen uns unsere Demokratie nicht wegnehmen.» Er versteht

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