Die Patin
gleichen Bedingungen: alleingelassen von der politischen Führung.
Bis ein Bundespräsident zum ‹Fall› wird, muss einiges geschehen. Die Deutschen schützen das höchste Staatsamt, und die Medien bestätigen diesen Kurs. Ein Präsidentenabsturz ist auch in den Köpfen nicht vorgesehen. Das Amt schützt also auch den Inhaber, solange er der Versuchung widersteht, die Aura des Amtes als Weißmacher für die eigene Vita einzufordern.
Vielleicht ist es die Erwartung des Inhabers an die Schutzkraft des Amtes, die in beiden Fällen – bei Köhlers Entscheidung, seine Enttäuschung über das Versiegen dieses Schutzes handlungsleitend zu machen und bei Wulffs zäher Weigerung, sein Amt freizugeben –, vielleicht ist es tatsächlich diese Fehleinschätzung, die an den Tag bringt, dass ein Präsident das ihm verliehene Amt nicht verstanden hat.
Als der Präsident Wulff Schritt für Schritt zum ‹Fall› wurde, gab es zwiespältige Gefühle. Ein Haufen Petitessen wurde zum Knäuel, in dem das Präsidialamt sich verstrickte. Der harmlose Herr Wulff wurde peu à peu zum Glücksritter und Parvenu, ein auch naiver Hans im Glück, der die Boni eines Lebens im geliehenen Glamour einstrich wie seine Gönner den Bonus seines Amtes als Ministerpräsident. Wer so greedy nach Aufstieg in die Top-Etagen anderer Aufsteiger unterwegs ist, der wird sehr unsicher, wenn dieser Lebensstil in einer Grauzone zwischen Moral und Recht ins Feuer gerät. Eine souveräne Verteidigung misslingt, weil der Angegriffene sich nie unabhängig, sondern immer abhängig bewegt hat.
Die Kanzlerin bestätigt seine Abhängigkeit auch im Präsidentenamt unverzüglich. Sie liefert Vertrauensvoten in einer Dichte, die den höchsten Würdenträger im Lande in die Vasallenrolle zurückstuft. Sie liefert auch noch, als das juristisch heikel wird, ausdrücklich ihre Wertschätzung für Amtsführung und Person. Wenn ihr Votum nicht aufhebenden Charakter für die Verfolger hat, so wirkt es doch aufschiebend, und das braucht sie.
Die Vertrauenserklärungen der Kanzlerin erinnern an ihre kühnen Rettungsmanöver im Fall Guttenberg – wo allerdings das Wagnis moralisch und juristisch kaum zulässig erschien.
Beide Fälle finden sich unter vielen weniger spektakulären, zu denen die Presse regelmäßig schrieb: Das wird die Kanzlerin beschädigen. Nie trat dieser Schaden ein.
Die Erklärung ist einfach. Die Kanzlerin hat die Räume von Ethik, Moral und Recht längst in Funktionslabors verwandelt, auf die sie als Nutzerin, nicht als Bekennerin zugreift. Für sie persönlich gilt der Lotus-Effekt; alles perlt ab, weil sie sich keiner Moral verpflichtet hat und Ethik utilitaristisch als Wertzitat aus einer Welt einsetzt, die sie selbst längst verlassen hat. So geschehen mit der Töpfer-Kommission, die als Ethik-Club über Hochtechnologie entschied. Weil er dabei mitspielte, erschien Töpfer auch als geeigneter Präsidentenkandidat auf dem Regierungsticket, das 2012 scheiterte.
Die Kanzlerin hat sich längst rausgeschossen aus den Fesseln von Ethik und Moral. Sie wirkt in einem wertfreien Raum, wo es nur noch um Instrumente der Macht geht; da kann ab und zu durchaus auch ein Heimweh-Zitat aus der ‹Ethik der anderen› nützlich sein. Die Vermutung, sie könne nach einem Flop beschädigt sein, ist sozusagen der letzte Rest einer konventionellen Erwartung.
Die Realität ist aber dramatischer: Die Kanzlerin Angela Merkel hat es bis zum Jahr 2012 geschafft, die Erwartungen der Öffentlichkeit so umzupolen, dass niemand mehr ethische Kriterien an ihr Handeln anlegt. Ob die Kanzlerin ‹ehrlich› sei, ob man sich ‹auf sie verlassen könne›, fragt niemand mehr. Merkel hat Deutschland gelehrt, dass diese Fragen falsch sind. Sie sind ‹nicht wählbar›, wie Gauck. Bis gestern.
«Bei allem Respekt, das war ein guter Tag für Deutschland», titelt die B.Z. am 18. Februar 2012. «Es war ein Rücktritt, der vielleicht zu spät kam, aber mit Würde vollzogen wurde», schreibt die Zeitung. Der Bundespräsident war am 17. Februar von seinem Amt zurückgetreten.
Die quälenden Monate bis zu diesem Datum waren auch eine Lektion in Demokratie, die das Land in Atem hielt.
Was von dieser Lektion bleibt, ist entgegen allen Vermutungen eine gestärkte Erwartung an das Präsidentenamt in neuer Besetzung. Ein mit überwältigender Mehrheit gewählter Präsident stellt augenblicklich die Würde des Amtes wieder her, so der erste Eindruck in den Wochen nach Gaucks Wahl.
Dass
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