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Die Patin

Die Patin

Titel: Die Patin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gertrud Höhler
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hier unter seinem Wert beschäftigt sah. Er ist eben nicht Herkules, den die Athene Europas, Angela Merkel, zum Schutzpatron ihrer bisher explosivsten Wende ausgerufen hat: der ‹Energiewende›. Der römische Herkules ist der blasse Nachfahre eines Griechen – ob die Zuchtmeisterin der Prügelknaben Europas das bedacht hat? Der griechische Held Herakles verzehrt seine Söhne – das würde wieder passen, wenn Merkel nun selbst die ‹Herkulesaufgabe› stemmen will. Denn die Blitzwende vom NRW-Montag auf den Dienstag hat ja auch das Profil des Umweltministers radikal gewendet: vom Experten Röttgen zum leidenschaftlichen Amateur in der Wunderwelt der ‹Energiewende›, Peter Altmeier. Damit ist noch einmal belegt, was viele fast vergessen hatten: Für politischen Erfolg kann Sachkenntnis tödlich sein.
    Röttgen mag geglaubt haben, dass sein Ressort als oberster Feldherr der sogenannten Energiewende nicht zur Disposition stünde. Als Merkel-Kenner konnte er aber wissen, dass die Rangfolge der Ziele, die für die Chefin gilt, auf Position eins den Machterhalt nicht des Umweltministers, sondern der Chefin selbst verzeichnet. Röttgen könnte jahrelang geglaubt haben, er sei als Kämpfer an der Hauptfront der Kanzlerin, aufdem tollkühn von ihr eröffneten Schlachtfeld ‹Atomausstieg und Energiewende› einfach unverzichtbar – im Kanzlerin-Deutsch: ‹alternativlos›. Er sah sich als ihr Verbündeter, und er kannte seinen Kompetenzvorsprung beim Thema Erneuerbare Energien.
    Dass Merkels Agenda eine ganz andere Prioritätenliste enthielt, hätte er als aufmerksamer Vasall aber wissen können. Da fielen seine Vorteile mit einem Schlag auf die letzten Plätze. Merkels Agenda zeigt in Flammenschrift: Wahlniederlage delegieren! Debatte ablenken, Schuld verlagern – am besten auf Personen, weil keine Sachdebatte so viele Emotionen freisetzt wie eine Story um Personen. Auf Platz zwei von Merkels Agenda stehen die Verwerfungen im Chaos-Management für ihre Revolution: Der als ‹Wende› in die Kategorie ‹Schicksal› eingeordnete Husarenritt ist auf immer dünneres Eis geraten; dem Atom-GAU in Japan könnte der Energie-GAU in Deutschland folgen. Auch dieser Störfall im Siegertableau der Kanzlerin verlangte nach radikaler Entstörung. Platz drei auf der Agenda der Kanzlerin zeigte einen machtorientierten Kronprinzen, der keine fünf Büßerjahre als Wahlverlierer akzeptieren wollte. Deutlich wie nie zuvor erlebte die Kanzlerin den letzten Rivalen um ihren Thron als einen, der ihr selbst auf unheimliche Weise ähnlich ist: Röttgen gelang etwas, was willensstarke Moribunde fertigbringen, wenn sie die eigene Vernichtung vor Augen haben und den Täter nicht als Sieger entlassen wollen: Sie reißen noch einmal das Gesetz des Handelns an sich und nehmen damit, in der letzten Sekunde vor der Vernichtung, an ihrem Verräter Rache.
    Auch für diesen Moment in der Röttgen-Saga gab es bereits ein Beispiel: So hatte die FDP der Kanzlerin in einem Überraschungsschlag den Präsidentenkandidaten Gauck aufgezwungen, nachdem die Kanzlerin die Partei für lange Zeit entmachtet zu haben glaubte. Nicht lange nach diesem Coup erhob sich die totgeglaubte liberale Partei wie Phönix aus der Asche.
    Röttgen, den eigenen Untergang vor Augen, verweigerte der Kanzlerin die erwünschte Softvariante seiner Beseitigung aus dem politischen Bündnis vieler Jahre, weil er nicht zulassen wollte, dass sie als Siegerin vom Platz ging. Er riss das Gesetz des Handelns an sich und erzwangdamit die kontroversen Debatten, die der Liquidation folgten und auch Merkel nicht ohne Tadel davonkommen ließen. Erstmals hatte ein Gefolgsmann den offenen Kampf mit der Kanzlerin gesucht. Er hatte nichts mehr zu verlieren als eine allerletzte Hoffnung, dass sie ihn trotz seiner Weigerung zu gehen halten würde, um selbst besser dazustehen. Die Kanzlerin erlebte erstmals einen ihrer Vasallen als unbeugsamen Gegner; der den vergifteten Friedensschluss mit dem blanken Schwert abwehrte: Die Kanzlerin hatte keine Alternative, es war Krieg.
    Auf den letzten Metern seiner politischen Laufbahn lernte sie ihren Schützling und Rivalen von einer Seite kennen, die sie bisher unterschätzt hatte: unerbittlich, eigensinnig und fähig zu einem Zorn, der kampfstark macht. Röttgen galt bei seinen Kritikern als ‹autistisch› und ‹egozentrisch› – Urteile, die in die Welt der Kanzlerin führen, auch wenn die Vokabeln dort einen Tabubruch bedeuten würden. An jenem 15. Mai

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