Die Patin
abends, als das lange und kontrovers geführte Gespräch der Kanzlerin mit Röttgen lief, mag die Kanzlerin erstmals gefühlt haben, was sie eigentlich nicht zulassen wollte: Da saß einer, der ihr viel ähnlicher war, als sie realisiert hatte. Da entwickelte einer die Macht, die von ihr geplante Rollenverteilung umzudrehen, die eigentlich darauf angelegt war, dass der Minister ihr die Dankesworte möglich machen sollte, die seinen und ihren Part zu ihrem Vorteil vertauscht hätten: Du, Röttgen, springst ins Nichts, und ich, Herrin aller Abstürze, rufe dir Dankesworte nach.
Der Minister und Verbündete vieler Jahre drehte die Handlung um: Du, Kanzlerin, stehst zu deiner egozentrischen Entscheidung und handelst; ich, Norbert Röttgen, werde Objekt deines Machtanspruchs und triumphiere, weil ich dieses eine letzte Mal nicht dein Komplize für deine Ziele bin.
Merkel erkannte kurz vor diesem letzten Schritt, dass dieser Gegner aus demselben Holz geschnitzt war wie sie, und, gefährlicher: dass es ihm bis zuletzt gelungen war, das zu verbergen. Eigentlich ein Privileg, das sie für sich reserviert hatte.
Norbert Röttgen wählte den offenen Kampf. Damit wurde umso klarer, dass er ein gefährlicher Gegner werden könnte. Einer, der im Fallen das Schwert zieht, rettet ein Stück von seiner Ehre.
Die Presse titelte nach diesem Pas-de-deux zweier Machtmenschen, nun sei eine neue Kanzlerin auf die Bühne gesprungen. Hatte wirklich niemand ihre ‹Härte›, von der jetzt gesprochen wurde, vorher bemerkt? Gab es ein Tabu vor der treffenden Beobachtung, dass hier erstmals einer auf der Abschussliste stand, der Angela Merkel ähnlicher ist als alle vor ihm? Röttgen zwang die Chefin, die Hinrichtung diesmal nicht als Suizid an das Opfer zu delegieren, sondern zu ihrer Tat zu stehen.
Die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen brachten die Auferstehung einer planvoll hingerichteten Organisation: der Freien Demokraten. Auch diese Wiederbelebung, ‹plötzlich und unerwartet›, mag die Kanzlerin an ihr Vorratswissen erinnert haben: dass nichts Bestand hat, was den Bedürfnissen der Menschen langfristig widerspricht. Die Kanzlerin hatte ihre Machterweiterung für 2013 so kalkuliert, dass die FDP aus dem Bundestag ausscheiden sollte. 203 Nach den Wahlergebnissen in Schleswig-Holstein und NRW ermahnt sie ihre Dienerschaft: Achtet auf die FDP, sie könnte auch für uns wieder interessant werden.
Nach der Entlassung des Umweltministers Norbert Röttgen, zwischen Katholikentag und Aufbruch zum G8-Gipfel nach Camp David, erprobt die Kanzlerin ihr europäisches Format noch einmal in Richtung Griechenland. Sie habe, so hört man aus Athen, den Staatspräsidenten Karolos Papoulias am 18. Mai angerufen und ihm geraten, am 17. Juni, parallel zu den Parlamentswahlen in Griechenland, eine Volksabstimmung über den Verbleib des Landes in der Euro-Zone zu veranstalten. Selbst die konservative Nea Dimokratia, vertreten durch ihren Vorsitzenden Antonis Samaras, zeigte sich irritiert über die ‹Bevormundung›. Der Chef der radikalen Linken, Alexis Tsipras, urteilte, die deutsche Kanzlerin betrachte Griechenland ‹als ihr Protektorat›. ‹Merkel gibt uns noch mehr Rückenwind›, jubelten die Anhänger der Tsipras-Partei, die am 17. Juni gestärkt aus den Wahlen hervorgehen dürfte. Das Kanzleramt widersprach, ohne überzeugen zu können, dass ausgerechnet der in Deutschland ausgebildete Papoulias, der fließend Deutsch spricht, sich ‹verhört› haben könnte.
Referenden, so die offizielle Reaktion aus Athen, würden «grundsätzlich nicht vom Ausland vorgeschlagen». 204
Griechische Journalisten fragen: «Ist sie nun die KAISERIN von Europa? »
Staatsstreich als Chefsache
Auf den ersten Blick ist die Energiewende eine triviale Story aus dem System M: Machtlüsterne Chef-Idee gerät in die Logik des Misslingens, weil Ideologie die Alltagsklugheit niederwalzt.
Im Business geschieht das regelmäßig: Siemens-Rückzug aus unausgereifter Offshore-Technik, Rückzug von Thyssen-Krupp aus einem ‹Jahrhundertprojekt› in Brasilien, Scheitern von Facebook beim Börsengang. Lauter Herkules-Projekte.
Der wichtige Unterschied zu Herkula Merkel: Unternehmen der Wirtschaft müssen sich korrigieren, weil sie sonst untergehen. Politik hält an Irrtümern fest und bittet ihre ‹Angestellten›, die Bürger, zur Kasse.
Wäre es nicht die Regierungschefin, die den tollkühnen Schlag ins Herz der Marktwirtschaft führte, so würde
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