Die Patin
zu fügen? – hatten.
Das unheimliche Wettrüsten – hier Kanzlerin, da die Anwälte der Verfassung – nahm durch Wulffs Rücktritt ein jähes Ende. Wird der Tag kommen, an dem die machtorientierte Vertrauensmeldung der Kanzlerin für wen auch immer Gesetzeskraft erlangt? Wer will noch wetten, diese Schwelle werde nie überschritten, wenn wir den Willkürgehalt der sogenannten Energiewende betrachten?
Merkel ist eine vorsichtige Aussteigerin. Sie will ja Mehrheiten mitnehmen, ohne dass die es bemerken. Sie tut immer nur, was heute geht. Schauen wir aber genauer hin, dann sehen wir: Was heute geht, ging gestern noch nicht! Weder das Machtprinzip Themenenteignung bei andern Parteien war gestern durchsetzbar noch die Drohkampagne vor Präsidentenwahlen und der radikale Austausch nicht programmierbarer Wahlleute für die Bundesversammlung. Die Vernichtung einer ganzen Partei via Regierungsbeteiligung, wie mit der FDP praktiziert, war und ist bis heute ohne Beispiel. Die Beschränkung des Rederechts im Parlament, gegen die Finder und Verkünder unbequemer Wahrheiten gerichtet, ist eine flankierende Maßnahme zum Mix der Parteienziele auf dem Weg zur Zentralregierung, die als Allparteien-Konsens verkauft wird. Hat die Regierung jemals bei den Bürgern nachgefragt, ob sie mehrheitlich wünschen, dass es keine unterscheidbaren Parteien mehr gibt? Gilt in der Demokratie nicht der Bürgerwille?
Die Gegenrede im Parlament zu verbieten und die Parteiprogramme durch Raubzüge im Bekenntnisvorrat der Wettbewerber verwechselbar und bekenntnisfrei zu machen, sind zwei Maßnahmen zum gleichen Ziel: den Wettbewerb der Ideen und Ziele zu ersticken.
Die Demokratie lebt vom Wettbewerb. Staaten, in denen der Wettbewerb nur vorgetäuscht wird, Nationen, von denen regelmäßig sehr hohe Mehrheiten für die Projekte der Regierung gemeldet werden, nennen wir totalitäre Systeme oder Unrechtsstaaten.
Übergangsformen kündigen sich durch Verstöße gegen die Gewissensfreiheit der Abgeordneten und die Wahlfreiheit der Bürger an. Wennnicht mehr zwischen verschiedenen politischen Richtungen gewählt werden kann, weil die Parteiprogramme einander immer ähnlicher werden, so ist das nicht eine frohe Botschaft, sondern ein Gefahrensignal: Wo kein Wettbewerb mehr möglich ist, hat der Wähler keine Wahl mehr. Er spürt, dass er kaltgestellt wird. Aber spürt er es früh genug? Einer aus der Gründerrunde unseres Grundgesetzes, der Nationalökonom Wilhelm Röpke, hat schon bei der Gründung der Bundesrepublik auf die Verletzbarkeit des Wettbewerbs hingewiesen, der Wirtschaft und Politik bestimmen sollte: Der Wettbewerb, so Röpke, sei jeden Tag von Entgleisungen bedroht. Jeden Tag.
Spüren wir es also früh genug? Die Demokratie hat ein Problem, das wir bisher nicht kannten. Nur sehr wenige Experten verstehen die sogenannte Euro-Krise, genauer die Verschuldungskrise der europäischen Staaten, wirklich. Hunderte von Abgeordneten entscheiden über sogenannte Rettungsschirme, Gebilde, die so fragil sind wie die verräterische Vokabel ‹Schirm› sagt, ohne die Höhe der Geldtransfers zu kennen, denen sie da zustimmen. Warum tun sie das? Damit niemand erfährt, dass sie nicht verstehen, und weil sie, ohne zu verstehen, eine abweichende Meinung nicht vertreten könnten. Also stimmen sie zu.
Tritt nun gelegentlich einer auf, der schlüssig nachweist, dass die gemeinsame Währung eben nicht die Angleichung der Lebensverhältnisse gefördert, sondern verhindert habe; dass die Geldtransfers in die verschuldeten Länder eben nicht als Sparmotoren gewirkt haben; dass also die Therapie falsch sei, weil die europäische Krankheit nicht verstanden werden darf; zu viele von den behandelnden Ärzten waren Mitspieler im Theater der Illusionen: Zuerst die Währung, dann die Wirtschaft, stand auf dem Spielplan. Tritt nun so einer auf, der die Faktenkette aufrollt, dann leeren sich die Säle. Niemand will bei der Minderheit sein, die der aufstrebende Demokrat Norbert Röttgen bedroht hat, sie würden sich «am Rande der Gesellschaft wiederfinden». 198
Dass Minderheiten Unrecht haben, soll im System M zum allgemeinen Bewusstsein werden. Rederechte zu beschränken, ist eine der Maßnahmen, der Bevölkerung klarzumachen, wie wenig Komfort das Leben auf der falschen Seite bietet. Als Ronald Pofalla, der Kanzleramtsminister, eine Entgleisung vorführte, die jede Toleranz für emotionale Zwischenrufe durchschlug, fand die Kanzlerin das offenbar nachvollziehbar;
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