Die Patin
Gesundheitspolitik. Selbst der Finanzminister Wolfgang Schäuble votiert nun für eine Finanztransaktionssteuer, die er aber gut sozialdemokratisch inzwischen ‹Spekulationssteuer› nennt: Feindbilder mit klaren Konturen beschleunigen Gesetzgebungsverfahren in Deutschland.
Das Handelsblatt zieht ein knappes Fazit: Es geht nicht um bedenkliche Positionen. «Bedenklich ist die spürbare Verengung des politischen Angebots. Aus Schwarz und Rot ist Grau geworden.» 202
Die deutsche Einheitspartei, wie das Handelsblatt sie im Faktencheck nachweist, ist nur formal noch nicht ausgerufen; bei den beiden ehemaligen Volksparteien gibt es keine Konfrontation mehr. Die Thementransfers begannen mit Angela Merkels Kanzlerschaft in der Großen Koalition. Die einzige Partei, von der sie sogar in der Vertragsbindung kein Projekt übernahm, ist die FDP. Vertragsbrüche waren längst Alltag geworden, als Schwarz-Gelb einen Vertrag unterschrieb, den die Kanzlerin für sich nicht als bindend qualifizierte. Es dauerte nur zu lange, bis die FDP das begriff.
Merkels Politik der Enteignung von Kernbotschaften politischer ‹Nachbarn›, die ehemals Opposition zur CDU waren, hat eine wenig beachtete Nebenfolge.
Während die Kanzlerpartei ehemals ‹linke› Themen schluckt, weicht die SPD nach links aus. Die Schauseite der Partei ist ein Kontrastprogramm zu dieser Linksdrift: Frank-Walter Steinmeier, Fraktionschef, gehört dem rechten Flügel an; Sigmar Gabriel, Parteichef, ist ein Mann der Mitte. Peer Steinbrück, einstweilen auf eigene Rechnung unterwegs, gibt den intellektuellen Pragmatiker, während er ein radikaler Etatist ist. In der europäischen Krisensprache könnte man diese Schlachtordnung eine ‹Brandmauer› nennen, die den Linksruck der Partei als ein gemäßigtes Programm der Mitte wählertauglich tarnen soll.
Die Thementransfers der Kanzlerin haben während der Großen Koalition 2005 als bestes Undercover - play begonnen: Koalition ist compromizing , war die Begleitmelodie. Dass die Kanzlerin aber nicht generell so koalitionstreu ist, hat ihr trügerisches Bündnis mit den Freien Demokraten ab 2009 gezeigt. Sie greift nur dort zu, wo sie den Genossen Trend vermutet.
Die Kanzlerin hat also die SPD nach links geschoben. Die sozialdemokratische Führung hat öfter darüber geklagt, dass sie nicht die eigenen Ziele attackieren könne, nur weil sie in falschen Händen seien.
Stattdessen tarnt die SPD ihren Marsch nach links mit einer Strategie der leisen Töne. Die Herren in der ersten Reihe vermitteln dem Publikum ein Gefühl der Mitte. Dass Schröders Agenda 2010 rückabgewickelt wird, erscheint niemandem mehr spektakulär, seit es quasi hinter der öffentlichen Bühne geschieht.
Jeder öffentliche Themenwechsel, das haben die Sozialdemokraten in den letzten Jahren gelernt, ruft sofort die Plagiatoren der Kanzlerin auf den Plan. Und die Klügsten in der SPD fahren die Strategie der soften Schauseite, weil sie den Weg in die nächste Große Koalition nicht mit Kontrasten pflastern wollen. Die Wähler sollen für eine gefühlte Harmonie entscheiden, die vom Wegschmelzen der Gegensätze zwischen den Parteien lebt. Eine solche Wähler-Erwartung, so das Kalkül der SPD-Strategen, könnte der SPD ein paar Wählerstimmen mehr und damit eine stärkere Position in der Großen Koalition bringen – falls sie kommt.
Wie weit links das Herz der SPD in Wahrheit schlägt, kann anderen Mitspielern jederzeit bewiesen werden.
Plötzlich und unerwartet: Einer wagt den offenen Kampf
Will die Kanzlerin unsinkbar bleiben, müssen andere untergehen. Am 13. Mai 2012 war es die Partei, von der immer noch viele meinen, sie sei ‹ihre›, Merkels Partei. Am Tag nach dem Untergang der CDU in NRW deckte die Kanzlerin erstmals eine ihrer verdeckten Karten auf: ‹Ich stand ja nicht zur Wahl›, erinnerte sie die Journalisten. Die CDU und ich, das sind zwei verschiedene Adressen, hieß das. So deutlich hatte sie das bisher nicht gesagt, aber so deutlich war bisher auch keine Niederlage, wie diese vom 13. Mai 2012 mit 26,3 Prozent. Der Kandidat der verlorenen Wahl stand neben ihr, als die Kanzlerin das klarstellte.
Norbert Röttgen hatte, wie seine ‹Parteifreunde›, gewusst, dass die Wahl nicht zu gewinnen war. Er weigerte sich, fünf Loser -Jahre in NRW gegen sein Ministeramt einzutauschen. Schon dafür bezog er Prügel. Sein Wahlkampf war nicht nur glücklos, er zeigte auch einen lustlosen Minister, der sich als heimlicher Kanzler-Kronprinz
Weitere Kostenlose Bücher