Die Patin
gelogen. Ein Kellner brachte die Getränke.
»Es tut uns sehr Leid, aber es ist etwas dazwischengekommen«, sagte Anton zu ihm und zog seine Brieftasche aus dem Jackett. »Ein Notfall. Wir müssen sofort gehen.«
Der Kellner war nicht böse auf uns, er wirkte nicht mal erstaunt. Allerdings war da so ein gewisser Ausdruck in seinem Gesicht, mit dem er mich musterte, als ich den Champagnercocktail hinunterkippte, aufstand und meine Handtasche schulterte. So als wisse er genau, von welcher Art Notfall Anton gesprochen hatte. Mir egal. Vor mir lag die Nacht der Nächte. Davon hatte ich monatelang geträumt. Ich versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Es war nicht so, dass ich Angst hatte oder so, im Gegenteil, ich wollte es wirklich, ja, und wie ich es wollte, es war nur so ... - na gut, ja, ich hatte Angst! Ich war fünfzehn Jahre lang nur mit einem einzigen Mann ins Bett gegangen, und davor hatte ich diesbezüglich auch nur eine einzige klägliche Erfahrung gemacht. Sex mit Lorenz war auch nicht gerade besonders variantenreich gewesen. Fünfzehn Jahre lang Missionarsstellung - Mimi und Anne waren entsetzt gewesen, als sie mir diese Information an einem feucht-fröhlichen Abend entlockt hatten. Anton hingegen war eine Art Sexgott, wenn man Mimi glauben durfte. Sie hatte es zwar nicht selber ausprobiert, war aber gut mit seiner Exfrau und diversen Exgeliebten bekannt, und die waren sich alle einig gewesen, was Antons Qualitäten im Bett betraf sofern es überhaupt im Bett stattfand. Gott, was würde er denken, wenn er entdeckte, dass ich praktisch überhaupt von gar nichts eine Ahnung hatte? Wenn er wollte, dass ich etwas tat, von dem ich gar nicht wusste, wie man es machen sollte? Oder wenn er Begriffe verwendete, mit denen ich nichts anfangen konnte? Ich hätte mir wenigstens vorher ein Buch kaufen sollen. »Sex für Anfänger« oder »Hundert raffinierte Tricks, mit denen Sie ihn verrückt machen«, dann hätte ich vielleicht bluffen können.
»Anton?«, sagte ich. »Es gibt da etwas, was ich dir sagen muss ...«
Anton und der Kellner sahen mich gleichermaßen neugierig an. Letzterer war mir zunehmend unsympathisch. Er hatte ein paar große Scheine von Anton bekommen und verstaute sie besondersumständlich in einem Ledermäppchen. Merkte er nicht, dass er störte? Ich sah ihn an und schwieg, bis er sich, nicht ohne einen vorwurfsvollen Seufzer, verkrümelte.
»Was musst du mir sagen?«, fragte Anton und stand auf.
»Ich ... ähm, also, ich kenne überhaupt keine hundert raffinierten Tricks«, flüsterte ich, während er meinen Ellenbogen nahm und mich zwischen den Tischen hindurch Richtung Ausgang führte. »Ich meine, im Bett. Oder wo auch immer. Ich kenne ehrlich gesagt keinen einzigen. Und mit den Fachtermini, also, da habe ich auch große Lücken.«
Ich sah ihm gespannt ins Gesicht. Sein Ausdruck war schwer zu deuten. Im Kiefer zuckte ein Muskel, sonst war sein Gesicht unbeweglich.
»Tut mir wirklich Leid«, flüsterte ich.
»Schon okay«, sagte Anton, und jetzt grinste er ein bisschen. »Ich glaube, ich kenne genug Tricks für uns beide. Und was die Fachtermini angeht« - hier begann er breiter zu grinsen -, »frag einfach, wenn du was nicht verstehst.« Und jetzt lachte er. Er prustete richtig laut.
Ich runzelte die Stirn. Machte er sich über mich lustig? Ach, und wenn schon!
»Ich bin sehr gespannt auf deine Tricks«, sagte ich.
In diesem Augenblick geschah etwas Merkwürdiges. Zwischen Anton und mir rauschte klar und deutlich eine Toilettenspülung auf so laut, dass alle im Restaurant sich zu uns umdrehten, obwohl wir schon fast den Ausgang erreicht hatten. Ich dachte aus irgendwelchen Gründen sofort an eine Art übersinnliches Phänomen und blieb wie angewurzelt stehen. Der Pinguin am Stehpult neben dem Ausgang sah mich strafend an. Ja, merkte er denn nicht, dass hier etwas ganz Eigenartiges, etwas Mysteriöses geschah? Wieder ging die Toilettenspülung. Eine Gänsehaut überzog meine Arme.
Was wollte mir dieses übersinnliche Geräusch sagen? Etwas ging den Abfluss, den Bach hinunter ... äh ... ich musste etwasüber Bord werfen ... äh ... meine Prinzipien davonspülen ... äh ... ein Griff ins Klo stand unmittelbar bevor ...
Anton, immer noch lachend, schob mich energisch weiter, er schubste mich fast durch die Tür.
»Hörst du das denn nicht auch?«, fragte ich aufgeregt, als wir draußen auf der Treppe standen.
»In der Tat, bruh-hahaha«, prustete Anton. Er hörte sich an wie ein
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