Die Patin
das Meerschweinchen ein bisschen zu streicheln, aber die Leute haben immer ein furchtbares Theater veranstaltet, wenn sie sie dabei erwischt haben. Tagelang haben diese Tierquäler nicht bemerkt, dass das arme Meerschweinchen tot war! Muss man sich mal vorstellen: Die haben sich nicht mal gewundert, dass es sein Fressen nicht angerührt hatte! Meine Geschwister haben es schließlich nicht mehr ausgehalten und das Tier aus seinem Stall geholt, um ihm ein würdiges Begräbnis zu verschaffen.«
Oh, mein Gott, jetzt hatte ich auch Tränen in den Augen.
Nelly nicht. »Das ist ja interessant«, sagte sie. »War es vielleicht ein besonders dickes Meerschwein?«
Aber das wusste Kevin nicht. Es war nur zu vermuten, dass seine Geschwister es nicht besonders tief vergraben hatten ...
Der Nachmittag verging wie im Flug. Wir ließen die Kinder auf dem Karussell fahren, veranstalteten ein Picknick mit Pfirsichen, Aprikosen und Eierpflaumen, die ich in mundgerechte Stücke geschnitten hatte, und gingen noch mal baden. Samanthaschlief schließlich in ihrem Kinderwagen ein, wir zogen ihr das Sonnenhütchen über die Augen, damit sie es dunkler hatte.
Bernhard und Bianca tauchten nicht auf.
»Das ist ja wirklich Kindesvernachlässigung«, raunte Anne mir zu, leise, damit Joanne sie nicht hörte. Sie tobte mit Julius und Jasper im Nichtschwimmerpipibecken herum.
»Das stimmt! Wo sie noch nicht mal schwimmen kann«, sagte ich. »Vielleicht sind sie längst nach Hause gegangen und haben sie total vergessen.«
»Ich hätte gute Lust, das Kind einfach zu seinem Vater zu bringen«, sagte Anne. »Da wissen wir doch wenigstens, wo er wohnt.«
»Ja, aber das geht nicht. Das wäre Entführung. Und am Ende kriegt der arme Jo nur Ärger.«
»Genau, Jo hieß er«, sagte Anne. »Und ich habe die ganze letzte Woche über den Namen nachgegrübelt.«
»Warum?«, fragte ich.
»Oh, du weißt schon«, sagte Anne. »Ich stelle mir eben gerne vor, ich wäre beim Sex nicht allein. Und da ist es schon ganz nett, wenn man wenigstens den Namen kennt.«
»Was? Du stellst dir Joannes Vater vor, während du dich ...?«
»Constanze, ich hasse es, dass du immer nur halbe Sätze sprichst, wenn es um Sex geht«, sagte Anne. »Ja, ich habe mir diesen Jo vorgestellt, na und? Der war doch wirklich süß. Manchmal stelle ich mir auch Brad Pitt vor oder Viggo Mortensen oder unseren neuen Assistenzarzt. Und du?«
»Ich?« Ich wurde puterrot.
Anne lachte. »Es ist immer dasselbe mit dir, Süße.«
Wir warteten noch eine Stunde, aber als wir aufbrechen wollten, waren Joannes Erziehungsberechtigte immer noch nicht da. Es blieb uns nichts anderes übrig, als sie an der Information ausrufen zu lassen.
»Die kleine Joanne Reiter sucht ihre Mutter. Die Mutter der kleinen Joanne Reiter möchte bitte zur Information kommen«,näselte die Stimme einer Bademeisterin durch alle Lautsprecher. Das Bad hatte sich mittlerweile schon merklich geleert, und wir warteten gespannt darauf ob Bernhard und Bianca auftauchen würden. Sogar Samantha wachte wieder auf und schob sich das Hütchen aus der Stirn.
»Hier stinkt's«, schrie Jasper.
»Das ist...«, sagte Kevin und schnüffelte an Samanthas Windel. »... Samantha! Aber sie hatte heute doch schon ... seltsam ...«
»Das ist ja das Tolle an Kindern, Kevin«, sagte Anne. »Sie sind immer wieder für Überraschungen gut.«
Kevin verschwand mit Samantha und besorgt gerunzelter Stirn im Babywickelraum.
»Bis heute Mittag dachte ich noch, er wäre der abgebrühteste Mistkerl der ganzen Schule«, sagte Nelly.
»Und jetzt?«
»Jetzt ist er irgendwie nur noch ein Mistkerl«, sagte Nelly. Alarmiert registrierte ich, dass es beinahe zärtlich klang.
»Da sind sie!«, zischte Anne. Ein braun gebranntes Pärchen war um die Ecke gebogen, sie, gut aussehend, blondiert und gepflegt, im silbernen Tanga-Bikini, er, klein und ebenfalls blondiert, mit immensen Muskeln, in Shorts.
»Keine Falten, ja, das muss sie sein«, konnte ich gerade noch zurückzischen.
Die große Wiedersehensumarmung, die wir erwartet hatten, blieb aus.
»Joanne!«, rief die Mutter. Von nahem sah man, dass sie ein bisschen zu viel mit Permanent-Make-up experimentiert hatte, vor allem um die Lippen herum. »Was soll das denn? Wir haben doch gesagt, wir holen dich wieder am Nichtschwimmerbecken ab, wenn wir gehen!« Sie zog eine genervte Grimasse zu der Bademeisterin. »Kinder! Wenn man die mal ein paar Minuten allein lässt ...«
»Entschuldigen Sie, aber Sie
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