Die Patin
Abendmahl?«, fragte Anton. »Wo angeblich Maria Magdalena als Jesus' Gemahlin mit abgebildet ist?«
»Ja, zum Beispiel«, sagte Polly begeistert. »Dieser Jünger sieht wirklich nicht wie ein Mann aus, oder?«
»Ja, und die Farben, in denen sie gekleidet sind«, sagte Frederike. »Im diametralen Partnerlook, also, quasi.«
»Und sie bilden den Buchstaben M«, sagte Anton. »Hatte doch auch was zu bedeuten, oder?«
»Und dann diese Hand, die keinem zu gehören scheint«, sagte Polly. »Ach, diese wunderbare Symbolik.«
Es machte mich ganz krank, dass sie sich so blendend über ein Bild unterhielten, das ich nicht kannte. Ich überlegte, wie ich meine Kenntnisse über den Goldenen Schnitt einigermaßen sinnvoll einbringen konnte, um mich nicht so ausgeschlossen zu fühlen.
»Ich habe da diesen herrlichen Bildband über Leonardo entdeckt«, schwärmte Polly. »Eine komplette Biografie, riesig und teuer, aber den müsst ihr euch unbedingt zulegen.«
Ich nutzte die Gelegenheit, wie ein Kandidat in einem Ratequiz, der blitzschnell den Buzzer betätigt.
Nööööök.
»Den habe ich schon«, rief ich aus. Na ja, jedenfalls so gut wie. Die dicke Schwarte gehörte Mimi, aber sie hatte sie mir geliehen. Ich hatte ein bisschen darin geblättert und wusste noch genau, wie sie hieß: Ich, Michelangelo. Erst, als ich es laut ausgesprochen hatte, fiel es mir auf Nach Antons und Pollys Blick zu schließen, waren Michelangelo und Leonardo da Vinci leider nicht ein und dieselbe Person.
»Ich meinte, Ich, Leonardo«, setzte ich mit einem nervösen Lachen hinzu und beschloss, aufs Klo zu gehen.
Während ich den Gürtel abnahm und aus dem engen Rock stieg, grübelte ich über meine Komplexe nach. Warum hatte ich so viele davon? Und warum hatte zum Beispiel Frederike keine? Was hatten ihre Eltern anders gemacht, als sie klein war? Es war seltsam, aber so lange ich in der Küche gestanden und gekocht hatte, war ich mir ganz großartig vorgekommen. Wieso konnte so ein Gefühl nicht mal etwas länger anhalten?
Als ich vom Klo zurückkam, redete wenigstens niemand mehr über Kunst. Während ich auf meinen Platz zurückging, fiel mir auf dass überhaupt niemand mehr redete. Alle schienen mich anzuschauen.
»Sie ähm haben da etwas, meine Liebe«, sagte Polly und rupfte mir etwas von der Hüfte. Das Etwas war ein WC-Frischestein samt Plastikhalterung. Aus irgendwelchen schwer nachvollziehbaren Gründen war er an meinem Gürtel hängen geblieben.
Ich wollte auf der Stelle sterben.
»Gllllub«, sagte ich.
»Nanu«, sagte Frederike und hielt sich die Hand vor den Mund. Völlig überflüssig, denn ihr blödes Lachen war so wenig zu überhören wie, sagen wir mal, der Paarungsruf eines Elches.
Polly wickelte den WC-Frischestein dezent in eine Serviette, aber wer nicht kurzsichtig war, hatte genau gesehen, was an meinem Hintern geklebt hatte. Ich konnte es einfach nicht fassen: Die höhere Ordnung musste sadistisch veranlagt sein.
Die anderen nahmen es mit Humor.
»Was zum Teufel hast du auf dem Klo getrieben?«, raunte Johannes mir zu, und Frederike sagte, immer noch lachend: »Ich finde, wir alle sollten immer etwas gegen Urinstein mit uns führen.«
»Damit uns immer eine frische Ozeanbrise umweht ...« Anton sah aus, als ob er gleich wieder in sein Nilpferd-Gelächter ausbrechen würde. Bruh-ha-ha-ha. Aber unter meinem finsteren Blick nahm er sich zusammen und ging auf das Gespräch ein, das Polly wieder in Gang gesetzt hatte. Diesmal über Skiurlaube, die die beiden Familien Vorjahren gemeinsam verbracht hatten.
»Weißt du noch, wie du im Bikinioberteil die schwarze Piste runtergewedelt bist, Frederike?«, fragte Anton.
»Das weiß ich auch noch«, sagte Johannes. »An dem Tag mussten mindestens fünf Männer mit dem Hubschrauber abtransportiert werden, weil sie gegen einen Liftmast gefahren sind.«
»Ach ja«, lachte Frederike und machte wie zufällig einen ihrer Blusenknöpfe auf Was wollte sie damit bezwecken? Hier gab es keine Liftmasten, gegen die man fahren konnte.
»Unsere Frederike war immer schon ein ganz besonders wildes Mädchen«, sagte Frau Körner etwas bekümmert. »Immer ein wenig - auffällig.« Ja, möglicherweise. Aber ich hätte wetten können, sie war noch nie mit einem WC-Frische-Stein am Hintern aufgefallen.
»Wird höchste Zeit, dass sie unter die Haube kommt und Kinder kriegt«, sagte Herr Körner.
»Ach, Papa, dafür macht mir meine Arbeit doch viel zu viel Spaß«, sagte Frederike. »Man
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