Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
Liedes wie gebannt, das sich unaussprechlich seltsam anhörte und mehr in ihrem Kopf widerzuhallen schien, als an ihre Ohren zu dringen. Cadvans plötzlich besorgte Miene nahm sie ebenso wenig war, wie dass er abstieg und zu Imi ging, die Zügel ergriff und den Arm ausstreckte, um Maerads Hände zu fassen. Dann erschien es Maerad, als verdunkelte sich der Wald rings um sie, und zwischen den Bäumen erschien eine wabernde, silbrige Helligkeit wie Licht unter Wasser - und in dem flackernden Gleißen erkannte sie eine Gestalt.
»Sei gegrüßt, Tochter«, sprach die Gestalt zu Maerad. »Ich habe dich beobachtet.« Verblüfft starrte Maerad zurück. Die Gestalt war eine Frau, die an sich nackt gewesen wäre, hätte sie nicht den sonderbaren Eindruck vermittelt, in Licht gekleidet zu sein, als bedeckten die grellsilbrigen Wellen sie, anstatt sie zu enthüllen. Maerad sah ihr in die Augen - es waren dieselben Augen, die sie in der Nacht zuvor erschreckt hatten. Die Frau besaß das wildeste Gesicht, das Maerad je gesehen hatte, unmenschlich und entrückt, ruchlos und wunderschön wie eine Blume.
»Warum?«, stammelte Maerad. »Warum hast du mich beobachtet?«
Die Gestalt lachte. »Wie oft verirrt sich jemand meiner Art in diese Gefilde? Ich dachte, du kämst vielleicht, um mich zu begrüßen und auf die althergebrachte Weise Musik zu machen. Aber wie ich sehe, bist du in Begleitung eines dieser Tölpel, dieser Menschen.« Abermals lachte sie, und Maerad spürte, wie ihr ein eiskalter Schauder über den Rücken lief. Sie schüttelte sich und blickte hinab; Cadvan starrte zu ihr empor, doch es fühlte sich an, als betrachtete sie ihn wie durch einen Schleier. »Was willst du von mir?«, fragte sie.
»Ich kenne dich«, sagte die Gestalt. »Ich werde dich nicht aufhalten.« Sie näherte sich Maerad, und sie schien, durch die Luft zu wandeln und in einem wässrigen Lichtkreis vor ihr zu verharren. »Ich halte meine Kinder nicht auf.« Mit einer Hand ergriff sie Maerads Kinn und hob es an, sodass sie einander unmittelbar in die Augen blickten. »Vor etlichen Generationen habe ich deinen Vorvater geliebt; sein Kopf ruhte an meiner Brust, und eine solche Wonne war wie ein Wunder für mich.«
Sie ließ Maerad los und streckte sich sinnlich, katzengleich. Ihre Arme ragten in die Bäume empor. »Aber wie alle Sterblichen alterte er und starb. Ich vergaß ihn. Und dann hörte ich deine Stimme; sie klang wie die seine, und ich erinnerte mich. Also bin ich dir gefolgt und sah es - du bist von meinem Geschlecht.«
Maerad schwieg.
»Ist er dein Geliebter, dieser Mensch? Vergiss ihn - sie sterben, wie das Schilf welkt. Komm mit mir in dein eigenes Königreich.«
Maerad verspürte einen jähen Anflug von Furcht. Würde sie weggezaubert werden? »Nein«, entgegnete sie lauter als beabsichtigt.
»Nein?« Die Gestalt zuckte mit den Schultern, dann lächelte sie. »Ich verstehe die Liebe. Auch ich habe einst geliebt. Aber gut, ich will dir etwas geben. Vielleicht wirst du der Menschen überdrüssig werden. Sie besudeln die Welt, sie vergiften die Wurzel aller Dinge.« Damit reichte sie Maerad eine kleine, aus Schilf geschnitzte Flöte. »Spielst du darauf, werde ich es hören.«
Maerad blinzelte, und in jenem Lidschlag verschwand die Gestalt. Alles war wieder wie zuvor, nur dass sie nun die kleine Riedflöte in der Hand hielt. Sie schaute hinab. Cadvan umklammerte Imis Zügel und starrte sprachlos zu ihr empor. Maerad schüttelte den Kopf, versuchte, sich von der Absonderlichkeit dessen zu befreien, was soeben geschehen war, und lachte.
»Was war das denn?«, fragte sie etwas zittrig.
»Was war was?«, fragte Cadvan mit Nachdruck zurück. »Sag, Maerad, was ist geschehen?« »Wer war sie?«
»Ein Elementar, eine Elidhu. Was hat sie zu dir gesagt?«
»Konntet Ihr sie nicht hören?«, gab Maerad erstaunt zurück.
»Ich konnte sie schon hören, aber kein Mensch spricht ihre Sprache. Wenn sie mit Menschen sprechen möchten, was selten vorkommt, bedienen sie sich unserer Sprache oder bisweilen der Bardensprache. Maerad, als du mit ihr geredet hast, da hast du eine Sprache verwendet, die ich nicht kenne.«
Maerad saß reglos da, während sie dies verdaute. »Tatsächlich?«
»Ja, ja.« Cadvan hörte sich aufgeregt an. »Ich wusste nicht, ob du verhext worden warst.«
»Nein«, widersprach Maerad nachdenklich. »Nein, das glaube ich nicht. Sie sagte: Ich werde dich nicht aufhalten.« Dann schilderte sie die merkwürdige Unterhaltung,
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