Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
wobei sie die Äußerungen der Elidhu über Cadvan geflissentlich aussparte. Nach und nach wirkte er weniger besorgt, obschon keineswegs weniger verblüfft. Er ergriff die kleine Flöte und begutachtete sie nachdenklich.
»Früher als Kind habe ich auch solche Flöten geschnitzt«, sagte er und gab sie Maerad zurück. »Aber die hier besteht aus einem Schilf, das mir merkwürdig erscheint.« Er betrachtete Maerad mit einer neuen Neugier, in der, wie sie fand, auch ein gewisses Maß an Erstaunen zu erkennen war. »Es gab Gerüchte, dass in den Adern des Hauses Karn das Blut von Elementaren floss. Ich habe sie nie geglaubt. Ich habe mich wohl geirrt.« Er schüttelte den Kopf, als versuchte er, einen klaren Gedanken zu fassen. »Was bedeutet das? Es ist jedenfalls seltsam, sehr seltsam …«
Maerad sah ihn mit ausdrucksloser Miene an. Sie fühlte sich immer noch, als wäre sie eben aus tiefem Wasser aufgetaucht. Cadvan schien ihr eine weitere Frage stellen zu wollen, sah jedoch plötzlich davon ab. Stattdessen reichte er ihr die Zügel, kehrte zu Darsor zurück und stieg auf. »Wir sollten weiterreiten«, schlug er vor. »Etwa eine Wegstunde von hier entfernt liegt ein Bardenheim. Dort können wir uns weiter unterhalten.«
Im Bardenheim nahmen sie den Pferden die Sättel ab und ließen sie grasen, dann, wie sie sich bereits angewöhnt hatten, zündeten sie in der Höhle ein Feuer an und bereiteten eine Mahlzeit vor. Cadvan wirkte zerstreut, und Maerad blieb stumm, obwohl sie vor Fragen brannte. Nachdem sie das Essen beendet hatten, streckte Cadvan die Beine aus und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Höhlenwand. Maerad musterte ihn im Schein des Feuers. Er sah müde aus; tiefe Furchen zogen sich von der Nase zum Mund, und seine Augen wirkten umwölkt. In solchen Augenblicken kam er ihr vor wie ein Fremder - ein dunkler, zurückgezogener Mann, das Antlitz von schweren Gedanken gezeichnet, abgehärtet und verwittert von einem Leben, von dem sie wenig wusste. Sie wartete. Schließlich, als die Nacht anbrach und es dunkel wurde, kehrte er aus seinem Innersten zurück und schaute lächelnd zu ihr auf. »Verzeih mir«, bat er. »Was heute geschehen ist, war gänzlich unerwartet. Ich hatte keine Ahnung …« Er schüttelte den Kopf. »Ich wusste, dass du voller Überraschungen steckst, Maerad, aber das verblüfft sogar mich.« »Mich auch«, gab Maerad zurück. »Wie konnte ich mit der Elidhu reden und doch die Sprache nicht beherrschen?«
»Ich weiß es nicht«, musste Cadvan zugeben. »Das Bardentum ist ein uraltes Wissen. Aber es gibt ein noch älteres Wissen, so alt wie das Wasser, die Bäume und die Erde. Viel von diesem Wissen ist uns unbekannt oder höchstens als dunkle Ahnung erhalten geblieben. Dies ist das Wissen, aus dem das Bardentum erwächst, die Wurzel unseres Weistums. Sie sind nicht dasselbe. Das Bardentum ist dem Reich der Menschen zuzuordnen, diese Elidhu aber wandelten lange vor uns auf Erden.« Kurz setzte er ab, dann fuhr er fort. »Das Blut von Elementaren zu besitzen gilt unter Barden nicht unbedingt als gut«, erklärte er. »Wenn es tatsächlich in den Adern des Hauses Kam floss, ist es kein Wunder, dass man das geheim hielt.«
»Warum?«, verlangte Maerad zu erfahren. »Sie war doch nicht böse.« »Nein, nicht böse«, bestätigte Cadvan. »Aber ebenso wenig kann man sich in der Welt der Menschen auf sie verlassen. Du hast mit der Elidhu gesprochen; würdest du ihr vertrauen? Die Kreaturen der Wildnis sind nicht wie wir - sie neigen dazu zu vergessen, woran wir uns erinnern müssen, und wechseln im Handumdrehen von gutwillig zu tödlich.«
Maerad schwieg eine Weile und starrte in die Flammen. »Und was ist das Haus Karn?«
Rasch schaute Cadvan zu ihr auf, dann senkte er den Blick wieder. »Es ist im Haus, deine Familie«, sagte er. »Manche Barden, etwa die Hälfte - so wie ich zum Beispiel -, entstammen Familien, in denen Bardentum nie bekannt war, andere nicht. Das Haus Karn ist eine alte Familie von Barden. Sie war bei der Gründung von Pellinor dabei und davor in Lirion im Norden. Die Große Stille hindurch setzte ihre Linie sich ungebrochen fern im Westen fort, auf der Insel Thorold. Lanorgil, der Seher, gehörte jener Familie an. Andomian und Beruldh, deren Geschichte du schon so oft gesungen hast, sind deine entfernten Ahnen. Milana, deine Mutter, war die Tochter eines großen Bardentumerbes. So wie du.«
»Ich?« Diese Neuigkeiten verschlugen Maerad noch nachdrücklicher die
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