Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
klappernden Hufen durch die Straßen liefen, öffneten sich Fenster; die Leute winkten, und hellhaarige Kinder strömten heraus, um die Pferde mit ein paar letzten Leckereien zu bedenken und lachend und rufend neben ihnen herzurennen. Maerad und Cadvan fühlten sich wie der Anlass für ein Volksfest.
Schließlich erklommen sie den Hang der Westseite des Tals und ließen die Häuser hinter sich. Auf der Kuppe drehte Maerad sich für einen letzten Blick zurück um, bevor Rachida für immer hinter ihr verschwand. Die aufgehende Sonne erfasste die Dächer, sodass sie wie poliertes Silber glänzten, und ihr Licht ergoss sich sanft in einem honiggelben Nebel auf die Straßen und Gärten, hob die blühenden Farben der Bäume, der Blumen, der Häuser hervor, wodurch sie allesamt wie neu geschaffen wirkten. Und doch vermeinte Maerad zwischen ihr und Rachida bereits einen schimmernden Schleier wahrzunehmen, als ob der Ort trotz der Nähe nur in ihrer Erinnerung existierte, als goldener Traum unberührbarer Schönheit.
Vierter Teil
Norloch
Wächst die Lilie im Gerank, Rankt die Rose auf der Welle, Dreigezüngeiter Stimme Klang Edil-Amarandh erhelle.
Wahr und falsch in dunkler Nacht Leuchtet hell die scharfe Flamme, Aus dem Licht hervorgebracht, Wahr und falsch der geheime Name.
Rankt die Rose auf dem Schaum ?
Blüht die Lilie ohne Stand ? Wer erkennt das Lied vom Baum ? Wo die Harfe ? und wes die Hand ?
Aus DieHoheliedervon Pel von Norloch.
Siebzehntes Kapitel
Val verras
Der Pfad, dem sie folgten, führte nach Westen. Unbeschwert wanderten sie durch blühende Wiesen, die sich zwischen breit gelagerten Baumgruppen erstreckten. Die Sonne spendete Wärme, und Maerad dachte, es würde nicht mehr lange dauern, bis der Sommer Einzug hielt. Derweil begannen die Gefahren ihrer Reise, die in der Beschaulichkeit Rachidas in den Hintergrund verblasst waren, sich wieder in ihre Gedanken zu drängen, und zum ersten Mal seit vielen Tagen hatte sie Träume, in denen sie von Untoten verfolgt wurde.
Imunt teilte Cadvan mit, dass sie sich nicht weit von den Grenzen ihres Landes befanden. Er führte sie zu einem Fluss, den sein Volk den Cir nannte. Dabei handelte es sich offensichtlich um einen Teil desselben Flusses, den Cadvan als Cirion kannte. Denn wie er erfuhr, teilte sich der Fluss im Norden in zwei Arme, den Cir und den Ciri, die weiter südlich wieder ineinander mündeten. Dazwischen erstreckte sich eine große, blattförmige Insel, deren Mittelpunkt Rachida bildete. Außerdem bezeichneten die beiden Flussarme die Grenzen des Reiches, wenngleich Kundschafter Rachidas sich bisweilen südlich bis zum Usk vorwagten. Sobald sie den Cir erreichten, würden ihre Führer sie verlassen. Wenn sie dem Fluss in südlicher Richtung folgten, ergoss er sich schließlich in den Usk, der solchermaßen verstärkt weiter durch den Wald und schließlich auf die Ebenen des westlichen Annar führte. Von dort war es eine Reise von etwa zweihundertfünfzig Meilen nach Norloch.
Später am Tag stießen sie dann auf den Fluss, der rasch zwischen steilen Uferböschungen dahinströmte und sich über zahlreiche Stufen in breite Teiche ergoss. Ihre Führer gaben ihnen ein paar letzte Warnungen mit auf den Weg, womit sie auf der gegenüberliegenden Seite zu rechnen hätten: Vogelspinnen so groß wie Fäuste, Riesenegel, Wildkatzen und ähnliche Gefahren. Von Werwesen oder Goromants in diesem Bereich des Waldes allerdings wussten sie nichts.
»Es ist besser wenn ihr hier den Fluss überquert, denn weiter flussabwärts wird er tief und reißend«, erklärte Penar. »Auf der anderen Uferseite gibt es einen alten Pfad, der den Cir entlang verläuft. Binnen eines Tagesmarsches werdet ihr auf die Mündung des Ciri stoßen, nach etwa drei weiteren Tagen auf den Usk. Der Pfad sollte uns bekannte Gefahren vermeiden; doch nachdem ihr zum Usk gelangt seid, verlasst ihr den Bereich, den wir kennen. Wir wagen uns mittlerweile nicht mehr über den Cir hinaus. Es könnte sein, dass dort nun Werwesen hausen. Auf jeden Fall müsst ihr auf der Hut sein.«
Ihre Führer verabschiedeten sich von ihnen und hoben die Hände zum Gruß, bevor sie sich umdrehten und erstaunlich flink zwischen den Bäumen verschwanden. Maerad und Cadvan verharrten noch eine Weile und schauten ihnen nach, dann wandten sie die Gesichter seufzend gen Westen. Zum ersten Mal seit Tagen stiegen sie auf ihre Pferde und überquerten den Fluss. Auf der anderen Seite wirkte das Licht zwar genauso hell,
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