Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
erblühen wird. Ich weiß nicht, was es bedeutet und was es verheißt, und in meinem Herzen fürchte ich, dass es ein Ende für mein Volk ankündigt, ganz gleich, wie ich es deute.«
»Sprecht nicht vom Ende«, gab Maerad in derselben Sprache zurück, womit sie sich selbst überraschte, denn es fühlte sich an, als regte sich eine andere Stimme in ihr. »Sagt lieber: ein neuer Beginn.«
»Vielleicht«, meinte Ardina. »Dennoch auch ein Ende. Und es mag sein, dass jenes Verhängnis, das wir alle fürchten, uns überwältigen wird, so sehr wir auch dagegen ankämpfen. Doch es ist besser zu kämpfen, als widerstandslos überwältigt zu werden.« Während Ardina sprach, beschlich Maerad der Eindruck, dass ihre Sicht verschwamm, und sie sah wieder die schimmernde Elidhu im Wald, die das Bild der mächtigen Königin überlagerte. Da erkannte sie voll plötzlichem Erstaunen, dass Ardina und die Elidhu im Wald ein und dieselbe waren. Scharf sog sie die Luft ein und schaute in Ardinas gelbe Augen auf.
»Ja, Schwester«, sagte Ardina, die Maerad eingehend betrachtete. »Du siehst richtig. Ich bin sowohl Königin als auch Elidhu, hier und dort, Feuer der Wildnis und Feuer des Herdes, Vergessen und Erinnerung. Du bist von meinem Blut. Ich habe dich beobachtet, aber sprich noch nicht davon, denn die Menschen haben keine Geduld mit solchen Dingen und verstehen sie nicht.«
Cadvans Blick ging verständnislos zwischen den beiden Frauen hin und her, bis die Königin ihn ansah und sich erhob.
»Cadvan von Lirigon«, wandte sie sich in der Sprache Annars an ihn. »Ich weiß, dass du die Wahrheit sagst. Wie sehr hast du meine Sorge vergrößert! Glaub nicht, dass meine Abgeschiedenheit bedeutet, ich wüsste wenig über die Geschicke Annars; wie du vermutet hast, besitze ich meinen eigenen Spiegel in die Welt. Ich hatte gehofft, noch lange unbemerkt zu bleiben. Wie alle falschen Hoffnungen empfand ich auch diese als tröstlich. Aber noch nie konnte jemand behaupten, Königin Ardina besäße ein zauderndes Herz oder flüchtete sich in die Ausreden von Feiglingen.« Sie hielt inne, als wollte sie ihre Gedanken sammeln. »So teile ich dir denn meinen Beschluss mit. Allein du von allen Menschen, die hier wandelten, darfst ungehindert mein Reich verlassen. Ich gewähre dir dies, weil ich weiß, dass du die Wahrheit sprichst und weil du mit einer meinen Blutes reist und weil wir uns gegen unseren gemeinsamen Feind wappnen müssen und nicht geteilt sein dürfen. Ich verlange lediglich, dass du niemandem von unserer Zuflucht hier erzählst. Außerdem biete ich dir alle Hilfe, die ich bieten kann, und Geleit zu den Grenzen des Cilicader, denn in diesem Wald gibt es viele dunkle Orte, die zu vermeiden ratsam ist.«
Cadvan stand auf und verneigte sich. »Ich danke Euch, Königin Ardina«, sagte er. »Mir ist bewusst, was es Euch kostet, uns dies zu gewähren. Ihr seid eine wahrhaft mächtige Königin, und Eure Gesetze sind gerecht.« Er sah aus, als wollte er noch mehr hinzufügen, könnte es jedoch nicht.
»So lebt denn wohl«, sagte Ardina. »Maerad von Pellinor, meine guten Wünsche begleiten dich. Möge dein Los nicht so grausam wie das meine sein! Und als Zeichen unserer Verwandtschaft bitte ich dich, dies anzunehmen.« Damit löste sie von ihrem Finger einen schmalen, zu einem Liliengeflecht geschmiedeten Goldreif. Jede Blume ging wundersam fein gearbeitet in die nächste über. Maerad nahm das Geschenk verlegen entgegen und zeigte sich vor Überraschung sprachlos.
»Trag dies zum Gedenken an Ardina«, forderte die Fürstin sie auf. »Es wurde mir vor langer Zeit von jemandem geschenkt, den ich liebte. Deine Zukunft ist ungewiss, und ich vermag dir nichts zu sagen, was dir helfen könnte. Du bist einzigartig und gefährlich, weshalb sowohl die Finsternis als auch das Licht die Hand nach dir ausstrecken. Vielleicht wirst du herausfinden, dass dein Schicksal fernab von beidem liegt. Womöglich stellst du fest, dass deine größte Gefahr bereits in dir lebt. Nur dies eine ist klar: Du besitzt ein großes Herz, was du allerdings nur durch großen Schmerz erkennen wirst. Das ist die Weisheit der Liebe und ihr zweifelhaftes Geschenk. Doch auch ich habe viel Leid ertragen und habe doch mein Herz nicht verschlossen.« Abermals schaute Maerad in die Augen der Königin; Ardinas Blick schien sie an ihrer verwundbarsten Stelle zu durchdringen, sie zu verletzen - und doch hieß sie die Wunde willkommen. Da sie dem Blick der Königin nicht lange
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