Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
gelassen zu haben. Die schwarzen Basaltfelsen von Norloch ragten hoch über ihr auf, und über das Wasser erkannte sie die Hafen ausfahrt, die sich als Lücke voll Sternenlicht zwischen dunklen Felswänden abzeichnete.
Nun hieß es, sich behutsam einen Weg über die Steine zu bahnen, ohne in den Schatten zu stolpern oder in einen der Salzwassertümpel zu fallen, die jede Ritze füllten. Es gestaltete sich langwierig und zeitraubend, aber langsam kamen sie um den Fuß der Felswand herum, und bald konnte Maerad den mächtigen steinernen Kai vor ihr erkennen. Bedrohlicher hingegen wirkte, dass sie Geschrei über das Wasser hörte, außerdem den Lärm einer bewaffneten Auseinandersetzung. Dann sah sie plötzlich rotes Licht flackern. Flammen.
»Im neunten Kreis wird gekämpft«, murmelte ihr Cadvan ins Ohr. »Ich hoffe, Owan erwartet uns noch!«
»Nelac hat gesagt, er würde ihm sein Leben anvertrauen«, gab Maerad zurück und fragte sich, was sie tun würden, wenn Owan bereits aufgebrochen, von den Ereignissen in Norloch vertrieben worden wäre. Sie kletterten weiter, bis sie sich am Fuß der Kais befanden. An der Seite führten Stufen hinauf, die sie leise erklommen. Kurz bevor sie oben ankamen, streckte Cadvan die Hand aus, um Maerad innehalten zu lassen, dann spähte er über die Kante. Entwarnend bedeutete er ihr, ihm zu folgen, und gemeinsam krochen sie über den Rand des Kais.
Weiter oben an der Hafenanlage kämpften Gruppen von Menschen, von Flammen in ein schauerliches Licht getüncht. Drei an der nächsten Biegung der Bucht verankerte Boote brannten lichterloh und warfen einen Schein auf die Wellen, der wie Blut auf der Wasseroberfläche glitzerte.
»Sie stecken die Schiffe in Brand!«, murmelte Cadvan. »Enkir ist wahrhaft gründlich.«
Maerad konnte nicht deutlich erkennen, was am Kai vor sich ging, aber sie hörte Schwerter klirren und schreckliches Brüllen und Kreischen. Sie schloss die Augen; es fühlte sich zu sehr wie ihre Erinnerungen an Pellinor an. Maerad konnte es sich nicht leisten, daran zu denken. Nichtjetzt.
Sie verbargen sich im Schatten eines großen Pollers. Vorerst hatte sie noch niemand bemerkt. In der Nähe klapperte eine Reihe von Booten leise an der Vertäuung. Geduckt und mit angespannter Miene ließ Cadvan den Blick darüber wandern. Welches war das ihre? Alle schienen verlassen. Nicht weit entfernt, aber trotzdem zu weit für Maerads Geschmack, befand sich eines mit roten Segeln, allerdings konnte sie von ihrem Standort aus den Namen nicht ausmachen.
»Ich denke, das muss es sein.« Cadvan nickte mit dem Kopf in die Richtung des Bootes. »Maerad, du kannst doch jetzt einen Trugbann weben, oder? Mach dich unsichtbar. Wir wollen nicht gesichtet werden. Ich kann zwar keine Barden erkennen, aber es ist bei diesem Chaos schwer zu sagen.« Maerad bündelte kurz ihre Gedanken; sie hatte das noch nie gemacht, dennoch erwies es sich als einfach. Cadvan zog eine Augenbraue hoch, und sie nickte. Dann standen beide auf und rannten los. Sie hatten das Boot fast erreicht, waren ihm schon nah genug, um eine weiß gemalte, fliegende Eule auf den Segeln und die auf dem Stein schwankende Laufplanke zu erkennen, als ein Schrei ertönte. Ein Barde hatte sie gesichtet.
»Halt!« Ein großer Mann mit einer Keule und einer lodernden Fackel kam auf sie zugerannt. »Halt! Wer ist da! Auf Befehl des Obersten Barden ist niemandem der Zugang zu den Kais gestattet!«
Sie befanden sich noch zu weit vom Boot entfernt, um den Versuch zu wagen, einfach weiterzurennen. Maerad hörte, wie Cadvan einen leisen Fluch ausstieß. Einen Barden vermochte ein Trugbann nicht zu täuschen, dennoch bestand Hoffnung, sich zumindest ein wenig zu tarnen. Mit der Hand unter dem Mantel auf dem Schwertgriff drehte er sich zu dem Mann um. »Habt Gnade, Herr!«, wimmerte er in einem Akzent, den Maerad nicht erkannte. »Ich und mein Junge versuchen nur, nicht getötet zu werden.« Sein Gesicht lag im Schatten der Kapuze verborgen, und Maerad lüpfte sich die ihre weiter über den Kopf.
»Ihr hättet schon vor einer Stunde von den Kais verschwunden sein müssen.« Zwei weitere Männer kamen herbeigerannt.
»Das wussten wir nicht«, erwiderte Cadvan. »Wir waren gefangen …« »Das sind Barden«, rief eine Stimme hinter dem ersten Mann, der die Fackel nun näher an sie hielt und eingehend Cadvans Züge musterte. Maerad bewegte sich hinter ihn und versuchte, sich in seinen flackernden Schatten zu verbergen.
»Barden, Herr?«,
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