Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
richtig zu deuten.
Silvia setzte die regen Schritte und ihr Geplauder fort, und ehe sich Maerad versah, befand sie sich in einem dampfenden Raum, in dem es nach Lavendel duftete, mit einem in den Boden eingelassenen Steinbad voll heißem Wasser in der Mitte. Maerad hatte noch nie ein Bad gesehen. Mit großen Augen blieb sie am Eingang stehen. Silvia blickte rasch zu ihr und fragte: »Möchtest du, dass ich bleibe? Ich kann dich auch allein lassen, wenn dir das lieber ist. Aber manchmal ist es hilfreich, jemanden zu haben, der einem den Rücken schrubbt.«
»Ich … ich weiß nicht«, flüsterte Maerad ein wenig überfordert. »Wie macht man das denn für gewöhnlich?«
»Diesmal, Liebes, bleibe ich und helfe dir«, schlug Silvia entschieden vor. »Ich möchte nicht, dass du im Bad ohnmächtig wirst. Du siehst mir zu erschöpft aus, um allein zu baden.«
Behutsam half sie Maerad, sich aus den stinkenden Kleidern zu schälen, die sie in einen Korb warf, dann half sie ihr in das Bad, in das sie süß riechendes Öl aus einer blauen Flasche goss. Anschließend schrubbte sie Maerad mit einem weichen Lappen und nach Lavendel duftender Seife ab und wusch ihr das Haar. Maerad schämte sich, als sie sah, wie dreckig das Wasser wurde, doch Silvia zeigte sich davon ungerührt und schüttelte nur über den Kratzer an Maerads Stirn sowie die blauen Flecken und Narben an ihrem Körper den Kopf.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Maerad bis auf den letzten Fingernagel sauber war, half sie ihr aus dem Wasser, trocknete sie ab und schlang ihr einen weichen, warmen Bademantel um die Schultern. Sie rieb eine Salbe auf die Wunde, dann ergriff sie von einem Schrank einen breit gezahnten Kamm, ließ Maerad auf einem niedrigen Holzhocker in der Ecke des Raumes Platz nehmen und kämmte ihr geduldig sämtliche Knoten aus dem Haar. Es dauerte eine ganze Weile. Maerad lehnte sich schläfrig und behaglich gegen sie zurück. Sie hatte sich noch nie so wohl in ihrem Körper gefühlt; ihre Haut war weich, als bestünde sie aus Seide.
»Inzwischen sollte dein Zimmer fertig sein«, meinte Silvia schließlich. »Gehen wir.« Sie führte Maerad weitere Gänge und eine Treppenflucht entlang, dann öffnete sie die Tür eines kleinen Schlafzimmers. In einem Kamin knisterte ein Feuer, durch ein Bogenfenster hörte Maerad die plätschernde Stimme des Springbrunnens auf dem Hof. In der Ecke stand ein mit einem Brokatvorhang verhülltes Bett, darauf ausgebreitet lagen bunte Gewänder. Sie sah, dass jemand ihre Leier in eine andere Ecke gestellt hatte. Überwältigt von all den üppigen Farben stand Maerad zögerlich an der Tür. »Das ist alles für mich?«, flüsterte sie.
Silvia musterte sie mit einem Ausdruck tief empfundenen Mitgefühls. »So ist es, Maerad. Alles für dich. Soll ich dir beim Anziehen helfen? Einige dieser Knöpfe können ganz schön knifflig sein.«
Maerad nickte stumm. Auch Gewänder wie diese hatte sie noch nie gesehen, aus solch weichem Stoff in prunkvollen Farben, so geschneidert, dass sie zugleich bequem, schön und warm waren. Sie fühlte sich unwissend und tölpelhaft. Silvia wählte ein schlichtes blaues Kleid mit Silberstickereien um den Kragen und an den Ärmeln. »Du wirst schon bald zu Bett gehen«, erklärte sie, »da willst du bestimmt kein großes Aufhebens machen. Aber zuerst musst du etwas essen. Geht es dir gut? Glaubst du, dass du noch mal ohnmächtig wirst?«
Verlegen schüttelte Maerad den Kopf. Je mehr Freundlichkeit Silvia ihr entgegenbrachte, desto weniger fühlte sie sich in der Lage zu sprechen. Sie meinte fortwährend, dass sich alles um einen Irrtum handeln musste; bald würde jemand herausfinden, dass sie gar keine richtige Bardin war, und dann würde man sie hinauswerfen. Silvia suchte leinene Unterwäsche aus und reichte sie Maerad, die deren Feinheit bewunderte. Sie glaubte zu träumen. Gedankenverloren setzte sie sich aufs Bett und strich mit den Fingern über den Stoff. Silvia löste die Unterwäsche behutsam aus ihrer Hand, nahm ihr den Bademantel ab und streifte ihr das Hemd über den Kopf. Es war, als zöge sie ein Kind oder eine Puppe an. Maerad sprach kein Wort. Nachdem sie angekleidet war, führte Silvia sie zu einem Spiegel. »Meinst du, das passt?«, fragte sie und reckte das Kinn über Maerads Schulter. »Du solltest öfter blau tragen, das bringt deine Augen zur Geltung. Wie hübsch du doch bist!« Maerad blinzelte und starrte ihr Ebenbild an. Abgesehen vom polierten Metall
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