Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
aus dickem, robustem Holz und verriegelt. Als sie die äußeren Läden aufschwang, wurden sie ihr aus der Hand gerissen und krachten gegen die Wand; eine Bö eisigen Winds stieß in das Zimmer und verteilte Schneeflocken auf dem Boden. Maerad erhaschte nur den flüchtigen Eindruck von wirbelndem Weiß, bevor es ihr mühsam gelang, die Läden wieder zuzuziehen und zu sichern. Sie hatte nicht bemerkt, dass ein Sturm aufgekommen war; die Mauern des Hauses waren sehr dick. Draußen im Freien wäre sie jetzt erfroren. Sie war dem Schnee um gerade mal einen Tag entronnen.
Der Gedanke erschütterte sie ein wenig. Sie setzte sich wieder aufs Bett und beschloss auszupacken. Während sie nacheinander die vertrauten Gegenstände hervorkramte - ihre Leier, Dernhils Buch, die inzwischen fast leere Flasche Medhyl -, begann sie sich allmählich etwas weniger fehl am Platz zu fühlen. Sie vermisste die Holzkatze, die sie Mirka geschenkt hatte, doch auch deren Fehlen gehörte zum Buch ihres Lebens. Nachdem sie die Kammer zu ihrer Zufriedenheit gestaltet hatte, kehrte sie zum Bett zurück und schlug Dernhils Buch auf. Es lag eine Weile zurück, seit sie zuletzt Gelegenheit gehabt hatte, Gedichte zu lesen; und sie erschienen ihr - vermutlich widersinnigerweise - nun bardischer denn je zuvor. Maerad war sich alles andere als sicher, was sie davon hielt, von den Pilanel als ihresgleichen angesehen zu werden.
Am Abend wurde Maerad eingeladen, mit Sirkana zu speisen. Zara machte sich an ihr zu schaffen, bestand sogar darauf, ihr das Haar zu flechten, und vergewisserte sich, dass ihre Gewänder keine Falten aufwiesen. Danach führte sie Maerad feierlich wieder in die Halle hinab, in der ein langer Tisch aufgestellt worden war, mit je einer Bank zu beiden Seiten, voller Leute. Der Lärm ihrer Unterhaltung stieg bereits zu Maerad auf, als sie die Galerie vor ihrer Kammer entlangging, und das Herz schlug ihr unwillkürlich bis in den Hals; seit Ossin war sie nicht mehr unter so vielen Menschen gewesen. Hinunterzugehen und all diesen Fremden gegenüberzutreten bedurfte all ihres Mutes. Sie gab ihr Bestes, um sich ihre innere Unruhe nicht anmerken zu lassen, was sich jedoch als schwierig erwies, als sie die Halle betrat und sich jeder einzelne Kopf zu ihr umdrehte. Sirkana, die in der Mitte des Tisches saß, winkte sie zu einem freien Platz zu ihrer Linken. Maerad setzte sich und betrachtete neugierig die Männer und Frauen ringsum.
Sirkana war ebenso schlicht gekleidet wie zuvor, nur trug sie nun eine einfache Halskette aus goldenen Gliedern, die wie die Goldanhänger in ihren Ohren blinkten. »Heute Abend speisen wir mit den Oberhäuptern der südlichen Klans«, erklärte sie in der Hohen Sprache. »Dadurch kannst du einige deiner Angehörigen kennen lernen.«
Maerad musterte die dunklen, harten Gesichter der Pilanel und krümmte sich innerlich. »Was soll ich über mich erzählen?«, fragte sie.
»So wenig du kannst«, riet Sirkana. »Es sind gute Menschen, dennoch kann ein loses Wort in ein böswilliges Ohr geraten. Tilla, Dorn und Vul würde ich mein Leben anvertrauen - bei ihnen ist deine Geschichte sicher. Ich werde sagen, dass du dich auf Pilgerreise aus Annar befindest und Kunde von Mirka ä Hadaruk gebracht hast. Das genügt, um die Ehre zu erklären, die wir dir erweisen.« Listig zwinkerte sie Maerad zu. Gleichzeitig hellte ein ironisches Lächeln ihre strengen Züge auf, und Maerad entspannte sich ein wenig.
Sirkana stellte Maerad förmlich als Mara vor, und zur Begrüßung wurde auf sie angestoßen. Damit schien den Förmlichkeiten Genüge getan, und das Fest begann. Zu Maerads anderer Seite saß ein großer, stämmiger junger Mann mit freundlichem Gesicht. In hervorragendem Annaren stellte er sich als Dharin vor, und zwischen ihnen beiden entwickelte sich ein Gespräch; er war weit in Annar herumgekommen und wollte wissen, woher sie stammte. Thorold hatte er noch nie besucht, und als sie erwähnte, dass sie schon einmal dort gewesen war, löcherte er sie mit Fragen.
Es war ein hohes Fest zmarkanischer Art, und die Gänge schienen nicht enden zu wollen: Zuerst gab es kleine, mit einer Art Kräuterkäse gefüllte Pfannkuchen; danach eingelegte Regenpfeifereier; darauf folgte eine pinkfarbene Suppe mit Sauerrahm und Dill; anschließend ein Gänsebraten, gefüllt mit Haselnüssen und wilden Zwiebeln; dann mit gewürzten Innereien gefüllte Klöße; und ein riesiger Wildbraten. Doch es gab noch mehr: dicke, herzhafte Würste,
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