Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
die offenbar überwiegend aus Fett bestanden, eingelegten Kohl und eine Reihe von Gerichten, die Maerad überhaupt nicht kannte, von denen sie jedoch eingedenk ihrer Erfahrung mit Muscheln die Finger ließ. Niemand störte sich daran, als sie zu essen aufhörte und stattdessen darüber staunte, wie viel die Pilanel verschlingen und trinken konnten, ohne von den Bänken zu kippen. Zu dem Gelage wurde ein feuriges, hochgeistiges Getränk gereicht, das aus sehr kleinen Tonschalen getrunken wurde, und im Verlauf des Abends wurde die Unterhaltung zunehmend lauter. Unerwarterweise stellte Maerad fest, dass ihr das Fest gefiel, und nicht nur wegen ihres Geplauders mit Dharin. Ungeachtet ihres gestrengen Auftretens gaben sich die Pilanel Vergnügungen ebenso ausgelassen hin wie die Thorolder. Als der Zustrom an Essen letztlich versiegte, wurden Rufe nach Musik laut, und drei Pilanel holten Fiedeln, Trommeln und Flöten hervor; sie stimmten eine wilde Tanzweise an, die ins Blut ging wie ein Fieber.
»Komm«, forderte Dharin sie auf. »Wir müssen unbedingt tanzen.« Maerad erhob Einwände und gab sich schüchtern, aber Dharin ergriff einfach ihre Hand und schleifte sie mitten in die Halle, wo sich bereits zahlreiche Tänzer eingefunden hatten. Maerad war froh, dass sie nicht zu viel gegessen hatte, andernfalls wäre ihr übel geworden - Dharin wirbelte sie herum wie einen Kreisel. Die Tänze der Pilanel ähnelten stark jenen, die sie in Thorold gelernt hatte, und alsbald schüttelte Maerad jede Scheu ab und gab sich dem Vergnügen hin. Es schien unendlich lange her zu sein, dass sie zuletzt all die Sorgen ihres Lebens hatte vergessen können. All die Ängste und Zweifel im Umfeld ihrer Suche, all der Gram und all die Reue wurden im Sturm der Musik fortgefegt, sodass sie gleich einem Gefäß purer Freude in der Mitte des Augenblicks zurückblieb. »Du tanzt wie eine wahre Pilani«, lobte Dharin sie, als sie zu ihren Plätzen zurückkehrten. »Das Leben ist hart, nicht wahr? Und voller Sorgen. Die Pilani tanzen dem Tod, dem Kummer und den Unbilden zum Trotz. Sie verbrennen lieber vor der Finsternis, als langsam und kläglich zu verblassen wie eine sterbende Flamme.«
Überrascht schaute Maerad auf; sie hatte eben etwas Ähnliches gedacht. »Ja, es tut gut zu tanzen«, pflichtete sie ihm bei. »Und es gibt mir das Gefühl, stärker zu sein, als könnte ich mich Gefahren ein wenig besser stellen.«
»Du bist zu jung, um dich Gefahren zu stellen«, entgegnete Dharin. Maerad bedachte ihn mit einem schiefen Blick; sie hielt ihn für kaum älter, als sie selbst war. Er bemerkte ihre Miene und grinste. »Tja, du hast recht, das Leben kennt keine Achtung vor Jugend oder Alter. Es schüttet seine Sorgen über alle gleich aus.«
Uber manche mehr als über andere, dachte Maerad und verfiel kurzzeitig in Selbstmitleid. Doch dadurch fühlten sich die flüchtigen Augenblicke des Vergnügens umso kostbarer an.
Am folgenden Tag hatte der Sturm sich ausgetobt und eine unvertraute weiße und funkelnde Welt mit seltsamen Lichtern zurückgelassen. Pilanel-Kinder, verpackt in bunt bestickte Wämser, Schals und Mützen, tummelten sich im Schnee und lieferten sich Schneeballschlachten. Jenseits der weitläufigen, leeren Rasenfläche in der Mitte des Hügels lag der Schnee knietief mit einer dünnen, trügerischen Kruste, unter der Schneematsch lag. Am Himmel ballten sich dichte gelbliche Wolken, die weiteren Schneefall ankündigten.
Maerad atmete die eisige Luft ein und spürte, wie ihr das Blut kribbelnd in die Wangen strömte; sie mochte dieses Wetter. Sirkana hatte ihr angeboten, sie in Murask herumzuführen. Dabei begegnete Maerad einigen der Pilanel wieder, mit denen sie am Vorabend gefeiert hatte. Wenn die Klans über den Winter nach Murask kamen, kehrten sie zu ihren traditionellen Unterkünften zurück. Diese waren - abgesehen von Sirkanas Haus, das zugleich die zentrale Gemeinschaftshalle darstellte - in den mächtigen Wall des Hügels eingelassen. Allerdings glichen sie zu Maerads Überraschung keineswegs den düsteren, stickigen Höhlen, die sie erwartet hatte. Vielmehr erwiesen ie sich als heimelige Behausungen mit bunten Wandmalereien und behaglicher, warmer Einrichtung. Die Tiere - Hunde, Rehe, Pferde -Herden in großen, scheunenähnlichen Räumen unten gehalten, während sich die Wohnbereiche oben befanden. Die Größe der verschiedenen Pilanel-Klans schwankte stark; sie konnte von fünf bis zu um die hundert Mitgliedern reichen
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