Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
musst du denn, kleines Küken?«, fragte Vul. Die Verwendung von Mirkas Kosewort für sie ließ Maerad leicht zusammenzucken und ärgerte sie ein wenig. Immerhin war sie kein Kind mehr. Aber aus Vuls Zügen sprach Güte, und sie glaubte nicht, dass er sie damit beleidigen wollte.
»Ich denke, ich muss die Altweisen finden. Mirka besitzt die Innere Stimme; sie fiel in eine Art Dämmerzustand und sagte… sie sagte, alle Rätsel würden dort beantwortet. Ich muss etwas über das Geteilte Lied erfahren. Es hängt alles irgendwie zusammen.« Als Maerad dies aussprach, hallte eine höhnische Stimme in ihrem Kopf wider: Du weißt doch gar nicht, wovon du da redest. Das sind bloß Worte, hohle Worte…
»Wir haben Zeit, all das zu besprechen«, ergriff Sirkana das Wort. »Wenn du die Altweisen finden musst, werden wir dir dabei helfen. Du kannst dich nicht allein auf den Weg zu ihnen machen. Es ist eine lange und beschwerliche Reise zu den Labarok-Inseln, selbst ohne diesen frühen Winter.«
Sie drehte sich den anderen Pilanel zu. »Ich verpflichte euch alle zu Verschwiegenheit«, sagte sie. »Ich vertraue nicht allen unseren Leuten genug, um die Neuigkeit über die Ankunft der Auserwählten gemeinhin bekannt werden zu lassen. Es besteht so schon Gefahr genug.«
Nacheinander nickten die Anwesenden, und Maerad spürte, wie sie vor Erleichterung erschlaffte. Es bestand in der Tat auch so Gefahr genug.
Siebzehntes Kapitel
Die Pilanel
Nach ihrer Begegnung mit den Pilanel fühlte Maerad sich völlig erschöpft. Als sie in ihre kleine Kammer zurückkehrte, setzte sie sich mit ausdrucksloser Miene aufs Bett und starrte ins Leere. Sie kam sich seltsam verloren vor. Selbst, als sie sich alleine auf den verwaisten Weiten der Arkiadera-Ebene befunden hatte, war die Landkarte ihrer Welt gewiss gewesen, wenngleich gefährlich. Nun jedoch schienen sich Kontinente verschoben zu haben und ein neues, unbekanntes Land zu offenbaren.
Trotz ihrer nahen Verwandtschaft mit den Pilanel fühlte sie sich in Murask nicht zu Hause. Sie empfand den Ort als fremdartig und verwirrend, die Menschen als brüsk und streng, wenngleich nicht unfreundlich. Hier empfand sie keinen Widerhall der merkwürdigen Vertrautheit von damals, als sie Inneil zum ersten Mal betreten hatte, obwohl die Schule dort sich völlig von ihrem Leben davor in Gilmans Feste unterschied. Maerad war überzeugt davon, dass Hem Murask anders wahrgenommen hätte. Er fühlte sich nicht auf Anhieb unter Barden wohl; Maerad hatte dies auf seine albtraumhafte Kindheit geschoben, in der er nach dem Fall von Pellinor von Untoten entführt und in einem trostlosen Waisenhaus in Edinur abgesetzt worden war. Aber vielleicht reichte es doch tiefer; vielleicht rührte sein Unbehagen von derselben Art Verweigerung her, die Sirkana zum Ausdruck gebracht hatte, von einer Überzeugung, dass es andere Wege gab, um die Gabe zu entfalten. Obendrein wäre Hem im Gegensatz zu Maerad mit ihrer hellen Haut Annars ohne Fragen als Pilani akzeptiert worden.
Sie war froh, dass Sirkana geheim halten wollte, wer sie war. Maerad glaubte mittlerweile zu verstehen, woher die Finsternis von ihr gewusst hatte und weshalb sie, wie Cadvan gesagt hatte, dem Licht stets zwei Schritte voraus zu sein schien. Die Untoten mussten von den Prophezeiungen der Pilanel gewusst haben; irgendwie mussten sie auch von Sirkanas Traum und Maerads Entscheidung, nach Annar zu gehen, erfahren haben. Sirkana hatte gemeint, dass sie nicht allen ihren Leuten vertraute. Es mochte sich durchaus ein Spitzel in Murask aufhalten, und möglicherweise hatte sich auch vor Maerads Geburt einer an diesem Ort versteckt. Allerdings konnte es auch sein, dass Dorn einen Barden in Annar ins Vertrauen gezogen hatte, der ihn danach verriet. Unwillkürlich musste Maerad an Heigar und die anderen Barden aus Ettinor denken, die ihr in Inneil so verdächtig vorgekommen waren; sie waren gewiss Spione gewesen, wenn nicht für den Namenlosen selbst, so doch mit Sicherheit für Enkir. Hatte Dorn am Ende mit Enkir gesprochen? So unwahrscheinlich mutete dies nicht an - weshalb hätte Dorn einem Barden aus Norloch von solchem Rang misstrauen sollen? Rastlos stand Maerad auf und ging durch die Kammer. Sie glaubte zu ersticken sie brauchte frische Luft. Mit der Absicht, sich hinauszulehnen und zu betrachten, wie die Welt aussah - mittlerweile musste später Nachmittag herrschen -, öffnete Maerad die Läden vor dem Fenster. Sie bestanden aus zwei Teilen, beide
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