Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
weil sie nicht als Feigling dastehen wollte, zuckte heftig zusammen; aus solcher Nähe schien der Hund ihren schlimmsten Albträumen entsprungen. Sein Gesicht befand sich in selber Höhe wie das ihre, obwohl er auf allen vier Beinen stand. Die Zähne des Tiers wirkten so lang wie ihre Finger. Sie spürte, wie der heiße Atem des Hundes an ihrem Antlitz vorbeistrich, als Dharin ihn kurz hinter den Ohren kraulte. Fang bellte abgehackt, womit er Maerad abermals zusammenzucken ließ. »Jagen sie dir Angst ein, Mara?«, fragte Dharin, der sich ihr rasch zudrehte. »Du darfst ihnen deine Furcht nicht zeigen - sie riechen sie, und sie fürchten sich ihrerseits davor. Fang, Platz.« Sofort legte der Hund sich in den Schnee, schaute mit wachem Blick zu Dharin auf und wartete auf dessen nächste Bewegung oder nächsten Befehl. »Fang ist der beste Hund in ganz Zmarkan«, erklärte er stolz. »Ich bekam schon viele Angebote für sie, aber ich würde eher meine Seele verkaufen. Und die alle hier« - er deutete auf den Rest des Rudels - »sind ihre Welpen. Ich habe immer die besten behalten. So bildet man ein gutes Gespann, bei dem es unterwegs keine Streitigkeiten gibt. Na ja, jedenfalls keine ernsthaften.«
Maerad nickte. Das Herz schlug ihr bis in die Kehle. Wie sollte sie es bewerkstelligen, den Hunden nicht zu zeigen, dass sie sich vor ihnen fürchtete? Ein Zusammenschnappen dieser beeindruckenden Kiefer würde ihr das Genick brechen. Sie hätte mit der Hohen Sprache mit den Tieren reden können, doch das wagte sie nicht; wenn man in der Hohen Sprache nicht lügen konnte, wäre es unmöglich, ihre Angst zu verschleiern.
Dharin verschwand in einen Schuppen und ließ Maerad bei den Hunden zurück. Offenbar hatten sie beschlossen, dass sie harmlos war, denn sie schenkten ihr keinerlei Beachtung. Stattdessen standen sie alle auf und beobachteten mit aufgerichteten Ohren die Tür zum Schuppen. Bald tauchte Dharin mit einer Fleischhälfte daraus auf, die er zu Boden warf. Sofort fielen die Hunde darüber her, wobei sie einander anknurrten und ankläfften; Maerad wich unruhig zurück. Sie hörte, wie die Kiefer knirschend Knochen zermalmten. Das Fleisch wirkte auf dem weißen Schnee äußerst rot.
»Sie sind hungrig«, meinte Dharin, ungerührt von dem Verhalten der Tiere, das Maerad als Furcht erregend und bedrohlich empfand. »Sie werden jeden zweiten Tag gefüttert; öfter brauchen sie nicht zu fressen. Außerdem mangelt es ihnen an Bewegung. Sie sind die einzigen Geschöpfe, die Ruhe nicht genießen.« Als sie den Zwinger verließen, verspürte Maerad Erleichterung, obwohl Dharin beiläufig erwähnte, dass seine Hunde den hohen Zaun überspringen könnten, wenn sie wirklich wollten. »Manchmal springen Hunde in die Zwinger eines anderen Rudels, und das ist nicht gut. Meine Hunde machen das nicht, aber andere sind weniger gehorsam. Die Leute werden bei so etwas immer sehr wütend; auf diese Weise kann man gute Hunde verlieren.«
Maerad schauderte. Auf sie wirkten Dharins Hunde furchteinflößender als alle, die sie bisher gesehen hatte. Und wie es schien, würde sie wochenlang mit ihnen reisen müssen.
»Sind sie Wölfe?«, erkundigte sie sich, als sie fand, dass sich ihr Schweigen zu lange hinzog.
»Nicht ganz. Teilweise Wolf, und halb wild. Wie bei allen wilden Geschöpfen muss man ihnen mit Achtung begegnen.« Dann fiel Dharin Maerads kalkweißes Gesicht auf.
»Mara, es sind gute Tiere«, sprach er in ernstem Tonfall. »Auch wenn du Angst vor ihnen hast, sie wissen, dass du unter meinem Schutz stehst und werden dir nichts antun. Ich bin ihr Oberleithund.«
»Als ich noch ein Kind war, habe ich einmal mit angesehen, wie ein Mann von Hunden zerfleischt wurde«, erklärte sie. »Damals hatte ich Albträume deswegen.«
Nachdenklich musterte Dharin sie. »Das ist schrecklich. Aber es waren nicht meine Hunde, die es getan haben.« »Nein«, räumte sie ein. Der Versuch, ihre Angst zu erklären, erschien ihr sinnlos; schließlich hatte sie keine handfeste Ursache. »Aber auch wenn ich nicht aufhören kann, mich vor ihnen zu fürchten, kann ich zumindest versuchen, tapfer zu sein, oder? Wenn du versprichst, dass sie mich nicht beißen werden.«
»Wenn du bei mir bist, werden sie dich nicht einmal berühren«, beruhigte sie Dharin.
»Naja, ohne dich würde ich mich ihnen ohnehin nicht nähern«, erwiderte sie. »Tja, dann sollte nichts geschehen«, meinte Dharin. Er schaute um Himmel empor, an dem immer noch ein
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